Topvermögen besteuern
Die Reichen sollen langsamer reicher werden und so ein Stück Zukunft für alle finanzieren.
In diesem Monat wäre die Vermögensteuer 100 geworden – läge sie nicht seit 25 Jahren auf Eis. Nicht, weil das Bundesverfassungsgericht es so gewollt hätte, sondern weil die damalige Bundestagsmehrheit die von den Richtern als ungerecht monierte Immobilienbewertung nicht korrigieren wollte. Man unterließ die gebotene Reform mit dem Hinweis auf den hohen Spitzensteuersatz von 51 und den Soli von 7,5 Prozent und verzichtete auf die Erhebung der Abgabe. Dabei blieb es auch, als die Steuersätze auf 42 beziehungsweise 5,5 Prozent sanken.
Passt diese Rundum-Verschonung der höchsten Einkommen und Vermögen noch in eine Zeit, in der Hunderte von Milliarden Euro für Überbrückungshilfen und dringende Investitionen nötig sind und ein 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr aufgelegt werden soll?
Wenn die Sprache darauf kommt, dass die Vermögendsten ein bis zwei Prozent mit ihrem seit Jahren wachsenden Reichtum mehr für die nötigen Weichenstellungen leisten sollten, gleicht das einem Stich in ein Wespennest. Eine bestens organisierte Lobby unternimmt alles, um Vermögen- oder Erbschaftsteuern als Neidkonstrukt linker Fantasten zu brandmarken.
Das Ergebnis: Die Topvermögenden werden immer vermögender. Derweil weiß die große Mehrheit nicht, wie sie angesichts rasant steigender Mieten, Energie- und Lebensmittelpreise über die Runden kommen soll. Das reichste Prozent der Gesellschaft besitzt mehr Vermögen als die „unteren“ 90 Prozent. In kaum einem anderen Industriestaat ist die Chance, ohne Erbschaft Vermögen zu bilden, kleiner als bei uns.
Krisen sind nur für wenige große Chancen. Im Corona-Jahr 2020 wuchs das Vermögen der 136 deutschen Milliardäre um über 100 Milliarden Euro, während der Staat Hunderte von Milliarden an Krediten aufnehmen musste, um die schlimmsten Auswirkungen der Pandemie abzufedern. Gleichzeitig nahm die Wirtschaftsleistung um über 170 Milliarden ab. Die tiefgreifenden Folgen von Putins verbrecherischem Überfall auf die Ukraine kommen noch obendrauf.
Zu den Autoren
Norbert Walter-Borjans war Co-Vorsitzender der SPD.
Michael Schrodi ist SPD-Bundestagsabgeordneter.
Schon nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg stand die Gesellschaft vor gigantischen Herausforderungen, die ohne eine solidarische Verteilung der Lasten nie hätten bewältigt werden können. Vor rund hundert Jahren war es der konservative Zentrumspolitiker Matthias Erzberger, der die progressive Einkommen- und eine Vermögensteuer durchsetzte, um der Aufgaben Herr zu werden.
Wann, wenn nicht jetzt, sollten wir seinen richtigen Gedanken wieder aufnehmen. Es stimmt ja, dass die Sicherung unserer Zukunft auch Kredite rechtfertigt, weil das, was in der Zukunft Nutzen stiftet, auch von künftigen Steuerzahlern mitgetragen werden darf. Aber die Überbrückung der Krise dient vor allem den Bedrängten in der Gegenwart, in der zugleich einige wenige gigantische Vermögenszuwächse erzielen. Es wäre mehr als recht, die Krisengewinner angemessen an der Finanzierung zu beteiligen.
Dass es keine einfache Aufgabe ist, den „angemessenen“ Beitrag festzulegen, liegt auf der Hand. Daraus zu schließen, durch die Decke schießende Megavermögen deshalb besser gar nicht heranzuziehen, ist zynisch. Selbstverständlich kann man nicht einfach die 1997 stillgelegte Vermögensteuer wiederbeleben. Nicht nur wegen der unfairen Immobilienbewertung, sondern auch wegen der gravierenden Veränderungen in der Wirtschaftsstruktur seither. Die Chancen eines Start-ups, das bereits ohne Gewinnerzielung einen hohen Unternehmenswert erzielt, würden im Keim erstickt, wenn darauf sofort eine Steuer fällig würde.
Wir sind uns des Wertes unserer leistungsfähigen Unternehmenslandschaft aber nicht nur bei Neugründungen bewusst. Innovative und nachhaltige Waren und Dienstleistungen sind der Garant unseres Wohlstands. Auch heute müssen sich Leistung und Erfindungsreichtum lohnen.
Es geht nicht darum, die Reichen ärmer zu machen. Es geht darum, die Reichen langsamer reicher werden zu lassen und so ein Stück Zukunft für alle zu finanzieren. Das Vermögen des reichsten Prozents der Bevölkerung wuchs über Jahrzehnte in einem Maß, dass eine einprozentige Vermögensteuer den Zuwachs lediglich kleiner ausfallen ließe.
Ob in Zeiten sich aufeinanderschichtender Krisen und hohen Handlungsbedarfs eine einmalige Vermögensabgabe, eine an die Zeit angepasste regelmäßige Vermögensteuer und/oder aber eine Reform der Erbschaftsteuer, die dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts wirklich gerecht wird, der zielführende Ansatz ist, darüber braucht es schnell eine intensive Debatte. Das Falscheste wäre der Verzicht auf jede dieser Lösungen. Dann blieben die Lasten der Hunderte von Milliarden an Hilfen und Investitionen an der wirklichen Mitte der Gesellschaft und deren Kindern hängen.