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Altersvorsorge: „Riester-Rente ein Wrack“ – Die Politik muss eingreifen

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Die Riester-Rente ist ein Wrack – und nicht mehr flottzukriegen.
Die Riester-Rente ist ein Wrack – und nicht mehr flottzukriegen. © dpa

Der Kapitalmarkt ist für die Altersvorsorge nicht geeignet. Das zeigt die Riester-Rente. Der Gastbeitrag von Hans-Jürgen Urban und Markus Kurth.

Berlin – Vor zwei Jahrzehnten startete die Riester-Rente mit Vorschusslorbeeren. Das Vertrauen in die Finanzmärkte war grenzenlos. Seitdem liest sich die Geschichte des Kapitalmarktes wie eine Aneinanderreihung von Desillusionierungen: von der Dotcom-Blase, über die Finanz-, die Immobilien- und die Bankenkrise bis hin zur noch immer anhaltenden Niedrigstzinsphase.

Heute sind Unmengen liquiden Kapitals verzweifelt und immer risikobereiter auf der Suche nach profitablen Anlagemöglichkeiten. Die Ernüchterung hat auch Folgen für die Altersvorsorge: Aus dem Traum, die Alterssicherung in großem Stil auch über die Kapitalmärkte zu organisieren und damit sozialstaatliche Sicherungsversprechen an Wohlfahrtsmärkte und Versicherungsunternehmen zu delegieren, ist ein Scherbenhaufen geworden.

Rieser-Rente: Geringverdienende nehmen Förderanspruch besonders selten in Anspruch

Dies gilt zuallererst für die Riester-Rente. Natürlich kann sie sich in Einzelfällen auszahlen. Aber als Teil des Regelsystems der Alterssicherung leistet sie weitaus weniger als ursprünglich angenommen. Weniger als ein Drittel der Förderberechtigten sorgt über einen Riester-Vertrag vor. Geringverdienende besonders selten!

Hinzu kommt: Ihr Sicherungsversprechen löst die Riester-Rente nur ein, wenn sie dauerhaft vier Prozent Rendite abwirft. Dies aber hat sich als Wunschbild erwiesen. Nach zwanzig Jahren mit dem Riester-Experiment ist es Zeit für eine Bilanz: Kann die Riester-Rente jemals in umfassender Weise die Rolle ausfüllen, die man ihr zugedacht hat? Die Antwort ist: nein!

Auswirkung auf Rendite durch Riester-Rente: Digitalisierung und Ökologisierung ergeben Unsicherheiten

Das Scheitern der Riester-Rente ist aber nicht nur auf Webfehler im Riester-Konzept zurückzuführen. Dahinter stecken Strukturschwächen der kapitalmarktbasierten Altersvorsorge. In Finanzkreisen ist längst Konsens, dass ein Ende der Niedrigzinsphase nicht in Sicht ist und akzeptable Renditen nur um den Preis steigender Risikobereitschaft realistisch sind.

Renditeentwicklungen lassen sich nicht in die Zukunft fortschreiben. Auch aus der Digitalisierung und der Ökologisierung der Wirtschaft ergeben sich Unsicherheiten. Schließlich ist die Demografieresistenz der Kapitaldeckung ein Mythos. Wenn die Lebenserwartung steigt, muss das angesparte Kapital auf mehr Jahre aufgeteilt werden. Die monatlichen Zahlungen schrumpfen.

Gesetzliche Rente: Politische Akteure setzen sich über Prognosen hinweg

Doch zentrale politische Akteure setzen sich mit souveräner Ignoranz über solche Prognosen hinweg. Wenn die CDU die gesetzliche Rente zu einem Mischsystem aus Umlage und Kapitalanlage umbauen will, wenn die FDP jede und jeden zum Aktiensparen verpflichten möchte oder wenn die Verbraucherzentralen vorschlagen, alle Beschäftigten automatisch in einen Fonds ohne Garantien einzahlen zu lassen, dann bedeutet das im Ergebnis: eine Art „Riester-Rente 2.0“ mit mehr Risiko für alle. Der Versuch aber, den Schwächen des Kapitalmarktes durch immer riskantere Anlagestrategien zu entkommen, kollidiert mit dem sozialstaatlichen Sicherungsauftrag.

Auch ein Bürgerfonds als verbraucher- und umweltfreundliche Alternative fürs freiwillige, private Sparen: warum nicht – als Säule der Alterssicherung: nein danke! Die kapitalgedeckte Einkommensversicherung ist fehl am Platz, wenn es um den verlässlichen Teil der Altersvorsorge geht. Eine risikofreie Anlage am Kapitalmarkt gibt es nicht.

Auch unangenehme Wahrheiten müssen zur Kenntnis genommen werden: Die Riester-Rente ist ein Wrack, nicht zu heben und nicht mehr flottzukriegen.

Statt Riester-Rente: Förderung von Frauen, Einwanderern und Gesundheit am Arbeitsmarkt

Wer nach einem kostengünstigen und sicheren Standardprodukt in der Alterssicherung Ausschau hält, braucht keine neuen Institutionen. Die gesetzliche Rentenversicherung bietet dies. Ihr Ansehen in der Bevölkerung ist hoch. Ihre Rendite kann sich sehen lassen. Und die paritätische Finanzierung ist gerecht. Von diesen Stärken sollten alle Erwerbstätigen profitieren und deshalb einbezogen werden.

Soll die erste Säule auch die Lasten tragen, an denen sich die kapitalgedeckten Systeme überheben, muss sie gestärkt werden. Mehr Arbeitsmarktchancen für Frauen, ein echtes Einwanderungsgesetz und gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen über die Erwerbsbiografie würden das Fundament der Rentenversicherung verbreitern.

Angesichts der demografischen Zukunft werden wohl auch maßvoll steigende Versicherungsbeiträge notwendig sein. Darüber ist zu diskutieren. Aber von der Illusion, volatile und rendite-schwache Finanzmärkte könnten das Problem lösen, muss man sich verabschieden.

Hans-Jürgen Urban ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall.
Markus Kurth ist Grünen-Bundestagsabgeordneter und Sprecher für Rentenpolitik seiner Fraktion.

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