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Reformiert weiter die Landwirtschaft

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Von: Eberhard Brandes

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Landwirtschaft, wie hier am Fuß der Schwäbischen Alb, soll laut Eberhard Brandes vermehrt nachhaltig betrieben werden.
Landwirtschaft, wie hier am Fuß der Schwäbischen Alb, soll laut Eberhard Brandes vermehrt nachhaltig betrieben werden. © Arnulf Hettrich/Imago

Nahrung wird in der EU nur sicher produziert werden mit Umwelt- und Naturschutz.

Der Krieg in der Ukraine wirbelt die Agrarmärkte durcheinander. Gefordert sind schnelle Maßnahmen, um kurzfristige Probleme der Ernährungssicherheit und des Zugangs zu Nahrungsmitteln zu lösen. Der Krieg wird aber zunehmend als Rechtfertigung genutzt, um beschlossene neue Regeln der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) zu verwässern oder wichtige politische Initiativen wie den Green Deal, die Farm to Fork-Strategie oder das geplante EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur in Frage zu stellen. Dabei zielen gerade diese Maßnahmen darauf ab, unser Agrar- und Ernährungssystem in der EU nachhaltiger und somit krisenfester zu machen.

Unsere Ernährungsautonomie in der EU steht auf tönernen Füßen. Als Reaktion darauf werden Stimmen laut, die eine Intensivierung der Landwirtschaft in der EU fordern. Wir sollen mehr erzeugen, indem wir bestehende Umweltmaßnahmen zurücknehmen oder neue Umweltschutzziele wieder einkassieren. Propagiert wird: „Ohne eine intensive Landwirtschaft, die noch die letzten Flecken Natur mit Pestiziden und Düngemitteln beackert, gibt’s keine Ernährungssicherheit.“

Dass wir naturschutzrelevante Flächen für die Intensivierung freigeben müssen, ist falsch. Wir blockieren in Europa Hunderttausende von Hektar allein für den Anbau von Biokraftstoffen. In Deutschland sind es mehr als 800 000 Hektar, deren Feldfrüchte im Tank landen. Wir sollten sie für die Ernährung der Menschen und nicht für Autos verwenden.

Unser europäisches Agrar- und Ernährungssystem ist aus der Balance. Das zentrale Problem für die Gesundheit, die Umwelt und die Lebensmittelsicherheit ist der übermäßige Konsum von tierischen Erzeugnissen. Unser Verbrauch an tierischen Proteinen in Fleisch, Eier, Milch und Käse ist fast doppelt so hoch wie der, der zur Deckung unseres Ernährungsbedarfs erforderlich ist.

Eberhard Brandes ist geschäftsführender Vorstand des WWF Deutschland.
Eberhard Brandes ist geschäftsführender Vorstand des WWF Deutschland. Hier spricht er bei einer Pressekonferenz im vergangenen Oktober. © Britta Pedersen/dpa

Um diese Nachfrage zu befriedigen, müssen wir eiweißreiche Futtermittel und Getreide aus dem Ausland importieren und in die Futtertröge geben. Und wir belegen weitere Fläche in der EU: Die Fütterung landwirtschaftlicher Nutztiere verbraucht hier rund 60 Prozent des Getreides und fast 70 Prozent der Ölsaaten. Das macht uns anfällig für jeden Schock.

Zehntausende von Landwirtinnen und Landwirten der EU haben bereits damit begonnen, den Übergang zu einer nachhaltigen Produktion zu vollziehen. Sie diversifizieren ihre Betriebe von einer spezialisierten Produktion hin zu einer gemischten Landwirtschaft. Sie verringern den Einsatz von Pestiziden und synthetischen Düngemitteln oder verzichten ganz.

Sie kümmern sich um den Erhalt von Böden und fördern agrarökologische Lebensräume wie Hecken oder Teiche. Sie halten ihr Vieh auf biodiversen Weiden. Diese agrarökologischen Betriebe sind krisenfester als die industrielle Landwirtschaft, da sie ohne importierte Dünge- und Futtermittel weiter produzieren können. Und sie garantieren unsere langfristige Ernährungssicherheit, indem sie die Qualität von Boden, Wasser, Luft und Ökosystemen erhalten.

Langfristige Ernährungssicherheit und Umweltschutz gehen Hand in Hand. Aktuell besteht die Gefahr, dass wir diesen Zusammenhang wieder einmal missachten. Wir müssen auf die Wissenschaft hören: Was unsere Ernährungssicherheit bedroht, sind nicht Umweltmaßnahmen, sondern Angriffe auf die Umwelt. Nicht die Farm to Fork-Strategie ist schuld an unserer Abhängigkeit von importierten Futter- und Düngemitteln, sondern unser derzeitiges Agrar- und Ernährungssystem, das von einem übermäßigen Verbrauch an tierischem Eiweiß und der Produktion von Biokraftstoffen abhängig ist.

Unser globales Ernährungssystem wird auch in den kommenden Jahrzehnten von Krisen betroffen sein, insbesondere von der Klima- und Biodiversitätskrise. Es ist an der Zeit, sicherzustellen, dass Europa in Zukunft besser vorbereitet und widerstandsfähiger ist.

In diesen Wochen werden auf europäischen Gipfeltreffen wichtige Weichen gestellt. Wir rufen die europäischen Staats- und Regierungschefs auf: Neben der Sicherung aller bestehenden Umweltmaßnahmen muss die EU die Gelegenheit ergreifen, die durch den Green Deal und die Farm to Fork-Strategie eingeleiteten Arbeiten für eine autarkere und widerstandsfähigere Landwirtschaft zu beschleunigen. Wichtige EU-Gesetzgebungsverfahren müssen ambitioniert verfolgt werden, insbesondere zum Schutz der Wälder, zur Wiederherstellung degradierter Ökosysteme, zur Reduzierung von Pestiziden oder zur Schaffung nachhaltiger Ernährungssysteme.

Jetzt ist die Zeit: wir müssen unseren Verbrauch an fossilen Brennstoffen und tierischen Produkten reduzieren und massiv in jene agrarökologische Produktionsmodelle investieren, die unsere Ernährungssicherheit langfristig erhalten.

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