Protest ermöglichen

Die Ampel-Koalition muss kritische Stimmen gegenüber Konzernen stärken – im Aktienrecht und darüber hinaus. Ein Gastbeitrag von Barbara Happe und Tilman Massa.
Ob Bayer, RWE oder Volkswagen: Es gibt kaum eine Hauptversammlung, die nicht mit lautstarken Protesten von Klima- oder Menschenrechtsgruppen begleitet wird. In den Versammlungen selbst können von Konzernprojekten Betroffene oder soziale Bewegungen durch Stimmrechtsübertragungen ihre Kritik artikulieren. In den Aussprachen zeigt sich, dass auch etliche Investor*innen mehr Engagement zum Schutz von Klima und Menschenrechten einfordern.
Doch mit den durch die Pandemie nötig gewordenen virtuellen Hauptversammlungen kam dann die Zäsur: Statt lebhafter Debatten verlesen die Vorstände nur noch monoton Antworten auf zuvor eingereichte Fragen. Viele Konzernverantwortliche scheinen Gefallen an dem virtuellen Format gefunden zu haben: keine kritischen Stimmen, kaum spontane Nachfragen, volle Kontrolle. Zivilgesellschaftlicher Protest hatte es bei virtuellen Hauptversammlungen schwer, überhaupt wahrgenommen zu werden.
Nun hat das Bundesjustizministerium einen Gesetzentwurf vorgelegt, um virtuelle Hauptversammlungen dauerhaft zu ermöglichen. Hauptversammlungen laufen nun mehr denn je Gefahr, zu reinen Werbeveranstaltungen der Konzerne zu verkommen. Der Vorgabe des Koalitionsvertrags, dass Aktionärsrechte „im gleichen oder zumindest vergleichbaren Umfang wie in der Präsenzversammlung“ ausgeübt werden sollen, wird der Referentenentwurf an zentralen Stellen nicht gerecht.
Debattenkultur soll anscheinend vermieden werden. Zwar sollen noch direkte Redebeiträge möglich sein, jedoch dürfen dabei keine Fragen mehr gestellt werden. Diese sollen weiterhin, wie seit Beginn der Pandemie, vorab – ohne jedwede Einbettung in inhaltliche Kontexte – eingereicht werden. Dabei hat sich die Antwortqualität in den bisherigen virtuellen Hauptversammlungen zum Teil stark verschlechtert. Oft wird sehr oberflächlich geantwortet, und Fragen werden willkürlich gebündelt. Teilweise ist noch nicht einmal nachvollziehbar, ob Fragen einfach ignoriert wurden. Die künstliche Trennung von Rede- und Fragerecht stellt gegenseitiges Zuhören nicht sicher.
Autorinnen und Autoren
Barbara Happe und Tilman Massa setzen sich beim Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre für Klima- und Menschenrechtsschutz bei Konzernen ein.
Fatale Auswirkungen hätte der Plan, die Konzerne selbst entscheiden zu lassen, wie viele Fragen und Redebeiträge zugelassen werden. Damit ist der Konzernwillkür Tür und Tor geöffnet, sich gar nicht erst mit Kritik oder bestimmten Fragen auseinandersetzen zu müssen. Für die Aufarbeitung und Prävention von unternehmerischem Fehlverhalten und Skandalen sind das schlechte Nachrichten.
Einen Vorgeschmack auf die drohende Konzernwillkür lieferte erst kürzlich Siemens Energy. Der Energiekonzern hatte es den Aktionär*innen erlaubt, neben schriftlichen Statements auch Videobotschaften einzureichen, die dann im Aktionärsportal einsehbar waren. Eigentlich hatte sich der Aufsichtsratsvorsitzende Joe Kaeser vorgenommen, alle Videos im Livestream der Hauptversammlung zu zeigen. Ein Videostatement zu umstrittenen Lieferungen der Windkraft-Tochter Siemens Gamesa in die völkerrechtswidrig besetzten Gebiete der Westsahara wurde nicht im Livestream gezeigt. In einer Präsenz-Hauptversammlung wäre das nicht möglich gewesen: Alle, die sich rechtzeitig für einen Redebeitrag anmelden, kommen zu Wort.
Investor*innen und Konzerne betonen oft ihre gesellschaftliche Verantwortung. Doch wie können sie zur Rechenschaft gezogen werden, wenn kritische Stimmen nicht hörbar sind? Ob Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens oder des Lieferkettengesetzes: Es ist dringend nötig, die Zivilgesellschaft beim Dialog mit Unternehmen und ihren Eigentümer*innen zu stärken.
Das Aktienrecht kann dabei die Bedingungen verbessern, unter denen Aktionär*innen ihrer Verantwortung nachkommen. Daher muss es bei der Reform des Aktienrechts darum gehen, Aktionärsrechte zu stärken statt zu schwächen. Um die Mitspracherechte der Aktionär*innen zu stärken, sollten sie das Recht bekommen, über zentrale strategische Ausrichtungen zu entscheiden, wie dies in Großbritannien mit den „shareholder resolutions“ bereits der Fall ist.
So könnte die Hauptversammlung über Anträge von Aktionär*innen abstimmen, zum Beispiel schneller aus fossilen Energieträgern auszusteigen. Selbst wenn sich am Ende keine Mehrheiten dazu finden sollten, würde immerhin transparent werden, ob etwa Blackrock auch nach den eigenen Aussagen im Sinne des Klimaschutzes handelt.