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Putin droht mit Atomwaffen: Warum Deutschland trotzdem nuklear abrüsten muss

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Protest vor dem Reichtagsgebäude in Berlin.
Protest vor dem Reichtagsgebäude in Berlin. © Kay Nietfeld/dpa

Deutschland darf gerade jetzt nicht die atomare Option weiterverfolgen, sondern muss sich von ihr trennen. Der Gastbeitrag von Steffen Bezold.

In Deutschland sind im Rahmen der nuklearen Teilhabe der Nato etwa 20 US-Atombomben stationiert. Piloten der Bundeswehr sollen diese nuklearen Sprengkörper im Einsatzfall zum Zielort fliegen und abwerfen. Nun soll in Deutschland nuklear aufgerüstet werden. Die Atombomben selbst sollen durch ein weiterentwickeltes Modell (B61-12) ersetzt werden. Und die Bundesregierung plant die Beschaffung neuer Flugzeuge als Träger dieser Bomben.

Angesichts der aktuellen Lage in der EU spricht Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) von einer „Zeitenwende“. Er fragt zu Recht, „welche Fähigkeiten [wir] brauchen, um dieser Bedrohung [durch das Russland von Wladimir Putin] zu begegnen“. Die nukleare Teilhabe gehört jedoch nicht dazu – und das aus mehreren Gründen. Deutschland darf gerade jetzt nicht die atomare Option weiterverfolgen, sondern muss sich von ihr trennen.

Taktische Atombomben in Deutschland wären Angriffsziel für Russland

Zunächst muss man wissen, dass es sich bei den in Deutschland stationierten Waffen um sogenannte taktische Atomwaffen handelt. Im Gegensatz zu strategischen Atomwaffen sollen sie nicht primär Militäranlagen und Städte auf gegnerischem Staatsgebiet bedrohen, sondern auf dem Schlachtfeld eingesetzt werden. Ein mögliches Einsatzszenario wäre das Vorrücken russischer Truppen auf Nato-Gebiete in Ost- und Mitteleuropa.

Der Aggressor wird zum Schutz seines Militärs die bedrohlichen taktischen Atomwaffen präventiv zerstören wollen. Der Lagerort der in Deutschland stationierten Atomwaffen ist bekannt: der deutsche Luftwaffenstützpunkt Büchel. Er wäre das Ziel eines Erstschlags. Damit sich der Aggressor der Zerstörung sicher sein kann, könnte dieser Erstschlag bereits nuklear ausfallen. Deutschland macht sich daher nicht nur zum Ziel erster Stunde; die hier stationierten Atomwaffen würden auch das Risiko eines frühen Atomwaffeneinsatzes durch den Aggressor erhöhen.

Nehmen wir an, der Aggressor entscheidet sich nicht für diese Option, sondern lässt seine Truppen zunächst ohne Atomwaffeneinsatz vorrücken. Die Bundeswehr würde in diesem Fall ihre Luftwaffe zur Verteidigung seiner Bündnispartner einsetzen, darunter denselben Flugzeugtyp, der mit Atombomben bestückt werden könnte (derzeit Tornados). Ob diese Flugzeuge mit konventionellen oder atomaren Waffen bestückt sind, dürfte in unübersichtlichen Kriegssituationen nur schwer – und schon gar nicht zuverlässig – unterschieden werden können. Bereits die Sichtung solcher Flugzeuge könnte als nuklearer Angriff verstanden werden und einen nuklearen Gegenschlag provozieren. Eine nukleare Eskalation wegen Fehlinterpretation wäre eingetreten.

Atombomben in Deutschland erhöhen das Risiko der Eskalation

In den bisherigen Fällen hat der Aggressor – aus rationalen Gründen beziehungsweise wegen Fehlinterpretation – die nukleare Eskalation begonnen. Aber wir müssen uns selbst fragen, wann wir unsere taktischen Atomwaffen einsetzen würden. Denn wenn es kein glaubwürdiges Einsatzszenario gibt, können diese Waffen auch nicht abschrecken. Atomwaffen unterscheiden nicht zwischen Militär und Zivilisten. Ihre Wirkung lässt sich räumlich und zeitlich (radioaktive Strahlung) nicht begrenzen. Im dicht besiedelten Europa wären bei deren Einsatz immer Zivilisten betroffen. Deutschland und das Verteidigungsbündnis Nato würden damit das humanitäre Völkerrecht brechen und Kriegsverbrechen begehen.

Zum Autor

Steffen Bezold ist Vorstandsmitglied von ICAN Deutschland. Für sein Engagement gegen Atomwaffen wurde ICAN mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Wollen wir die Errungenschaften des Völkerrechts selbst niederreißen? Wollen wir uns auf dieselbe Stufe mit anderen Kriegsverbrechern begeben? Wollen wir uns der nuklearen Eskalation eines Konflikts schuldig machen? Atomwaffen sind keine Lösung für Konflikte und Kriege. Die in Deutschland stationierten Atomwaffen erhöhen das Risiko einer nuklearen Eskalation in Europa. Und jede einzelne Atomwaffe steigert die ohnehin schon verheerenden Folgen einer solchen Eskalation weiter.

Wir wissen das. Es ist jetzt Zeit, zu handeln. Wir dürfen nicht warten, bis ein Konflikt nuklear eskaliert und erst nach einer solchen weiteren „Zeitenwende“ unsere Position zu Atomwaffen überdenken. Es wäre zu spät. Eine lebenswerte Welt hätte dann bereits aufgehört zu existieren. Stattdessen müssen wir jetzt beginnen, alle Atomwaffen abzuschaffen – in Deutschland, in der Nato, in Russland, weltweit! (Steffen Bezold)

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