Liebe Autobahn,

manchmal fasse ich es nicht, wie alt Du bist. Nur ein Jahr jünger als mein Großvater, hast du am 6. August 1932 die Welt erblickt. Du hast deine Furchen durch die Landschaft gegraben.
Doch eine schmerzhafte Realisierung vor längerem: Du bist aus der Zeit gefallen. Anders als dein Pfleger Volker Wissing hast du erkannt, dass eine radikale Transformation im Verkehr nötig ist. Sie schließt Dich und den Individualverkehr leider nicht mit ein.
Du machst es so, wie mein Großvater mit dem Handy: Du akzeptierst, dass es Veränderung gibt, Du aber nicht ganz Teil davon sein wirst. Also hast Du die Autobahn-Nostalgie abgelegt und dich auf das Tempolimit eingestellt – die Raser haben sowieso immer viel Ärger bereitet.
Vorfreudig schautest Du auf eine entspannte Zeit. Bus und Bahn sollten dich ablösen und eine für dich unmögliche Form des sauberen, zugänglichen Verkehrs ermöglichen.
Um nicht zu lange in der Wunde der schockierenden Worte deines Pflegers Wissing zu bohren: Wie kann er nur so fernab jeder wissenschaftlichen Realität leben? Es scheint, als gälte sein Vertrag mehr der Auto-Lobby als Dir und seiner Verantwortung der Gesellschaft.
Er zwingt Dich zu einer unnötigen Erweiterung, die sich gegen jegliche klimapolitischen Verpflichtungen stemmt. Die „Modernisierung“ umfasst 144 Genehmigungen von Autobahnprojekten, die Blockade des Tempolimits und des klimagerechten Ausbaus von ÖPNV sowie das Verwehren eines bezahlbaren Zugangs zum Grundbedürfnis Mobilität. Unterm Strich: Volker Wissing betreibt Klimazerstörung. Und Du, liebe Autobahn, kannst Dich von ruhigen Rentenzeiten vollkommen verabschieden.
Schlussendlich finde ich es eine Überlegung wert, ob Volker Wissing seinen jetzigen Aufgaben und dem langfristig überlebenswichtigen Pflegeauftrag gewachsen ist. Ganz sicher ist: Er und seine rückschrittlichen Heilmittel – unendliches Wachstums und Innovation – werden die gigantischen Aufgaben im Verkehrssektor nicht richten.
Wir müssen die Leute aufrufen, Deinen Ruhestand ernst zu nehmen. Sag Deinen Kund:innen, den Beschäftigten und allen anderen Bescheid, gemeinsam werden wir diesen Wahnsinn nicht widerstandslos hinnehmen. Es wird immer klarer: Bitten bringt bei den Volker Wissings dieser Welt rein gar nichts.
Viele Grüße,
Jule Pehnt
Hier schreiben alle zwei Wochen Aktivistinnen und Aktivisten der Fridays-for-Future-Bewegung.