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Leitlinien der Ampel verfehlen ihre Ziele

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Geflüchtete in Somalia 2022: Vor der Eskalation des Kriegs in der Ukraine im vergangenen Jahr erlebte die Region bereits die schlimmste Dürre seit mehr als 40 Jahren. Und Statistiken belegen, dass in Krisen Frauen häufiger von Hunger betroffen sind als Männer.
Geflüchtete in Somalia 2022: Vor der Eskalation des Kriegs in der Ukraine im vergangenen Jahr erlebte die Region bereits die schlimmste Dürre seit mehr als 40 Jahren. Und Statistiken belegen, dass in Krisen Frauen häufiger von Hunger betroffen sind als Männer. © Mohamed Odowa/dpa

Eine stärkere Gleichstellung der Geschlechter führt zu stabileren und friedlicheren Gesellschaften. Ein Gastbeitrag von Corina Pfitzner, International Rescue Committee.

Der Begriff „Feministische Außenpolitik“ ist in der Weltöffentlichkeit immer häufiger zu hören, sei es als Ausdruck ihrer außenpolitischen Bedeutung, oder auch als Kritik an dem Ansatz. Am 1. März haben die Bundesministerinnen Annalena Baerbock und Svenja Schulze ihre Leitlinien für eine feministische Außenpolitik und die Strategie für eine feministische Entwicklungspolitik veröffentlicht. Damit haben sie einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung getan.

Schließlich bilden die Leitlinien einen wichtigen Rahmen für die Arbeit von Hilfsorganisationen wie International Rescue Committee. Dennoch bleiben einige Fragen unbeantwortet. Grundlegend für jeden feministischen Ansatz in der humanitären Hilfe muss eine Auswertung der bestehenden gesellschaftlichen Machtverhältnisse sein, um sicherzustellen, dass keine schädlichen Strukturen aufrechterhalten werden. Die Berücksichtigung feministischer Ansätze in der humanitären Hilfe ist nicht unumstritten. Dennoch ist sie entscheidend.

Werfen wir einen Blick auf die Hungerkrise in Ostafrika: Vor der Eskalation des Kriegs in der Ukraine im vergangenen Jahr erlebte die Region bereits die schlimmste Dürre seit mehr als 40 Jahren. Heute sind 20,9 Millionen Menschen von schwerer Ernährungsunsicherheit betroffen. Statistiken belegen jedoch, dass in Krisen Frauen häufiger von Hunger betroffen sind als Männer. Diese geschlechtsspezifische Diskrepanz nimmt stetig zu: Etwa 150 Millionen mehr Frauen als Männer haben 2021 weltweit Hunger gelitten, laut einer aktuellen Studie.

Eine Hungerkrise ist auch verbunden mit einem Anstieg an geschlechtsspezifische Gewalt, insbesondere häuslicher Gewalt. Und da traditionell eher Frauen für die Ernährung ihrer Familien verantwortlich sind als Männer, führt eine Nahrungsmittelknappheit dazu, dass sie beispielsweise ihren eigenen Essensportionen reduzieren. Wenn Familien versuchen, die Zahl an zu ernährenden Personen einzuschränken, steigt für Töchter das Risiko einer Früh- beziehungsweise Zwangsverheiratung und eines Schulabbruchs.

Es geht also nicht darum, entweder in die Selbstbestimmung von Frauen oder in Ernährungssicherheit zu investieren. Vielmehr geht es darum, in globale Ernährungssicherheit so zu investieren, dass die gleichberechtigte Teilhabe und Stärkung von Frauen vorangetrieben wird, um resilientere Gemeinschaften zu schaffen.

Kritische Stimmen behaupten, es gebe in einer humanitären Krise weitaus wichtigere Themen als die Geschlechtergleichstellung. Diese Sichtweise ist kurzsichtig und übersieht die Tatsache, dass die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern eine ernsthafte Bedrohung für das Leben von Frauen und Mädchen in humanitären Krisen darstellt.

Damit die Bundesregierung den neuen Strategien zu einem geschlechtertransformativen und intersektionalen Ansatz für das Engagement in Krisenregionen weltweit gerecht werden kann, müssen beide Strategie ineinandergreifen. Doch es bestehen bedenkenswerte Lücken im politischen Selbstanspruch der beiden Ministerien.

Wo die Strategie für eine Feministische Entwicklungspolitik einen partnerschaftlichen und partizipativen Ansatz betont und die Rolle lokaler Zivilgesellschaft und Frauenbewegungen anerkennt, bleiben die Leitlinien für eine feministische Außenpolitik hinsichtlich humanitärer Hilfe hinter den internationalen „Best Practices“ zurück.

Der Fokus auf Gendersensibilität bedeutet lediglich die Umsetzung eines lang etablierten Standards für die gleichwertige Erfassung der Bedarfe von Frauen und Mädchen. Ein feministischer Ansatz sollte jedoch Geschlechtergerechtigkeit aktiv fördern und frauengeführter Zivilgesellschaft eine zentrale Gestaltungsrolle mit konkreten Initiativen für die Umsetzung zuschreiben. Nur so kann Deutschland seiner Rolle als zweitgrößter Geber von Entwicklungs- und humanitärer Hilfe und Vorreiter für feministische Weltpolitik gerecht werden.

Der Schutz und die Stärkung von Frauen, Mädchen und anderen marginalisierten Gruppen in Krisenregionen muss in den Mittelpunkt der deutschen Außen- und Entwicklungspolitik. Ob der gesetzte Selbstanspruch der Bundesregierung erfüllt wird, hängt davon ab, ob ein feministischer Ansatz konsequent und langfristig umgesetzt wird.

Eine stärkere Geschlechtergleichstellung führt zu stabileren und friedlicheren Gesellschaften. Hürden für Frauen und Mädchen zu beseitigen muss Teil der Lösung sein, wenn es um die weltweite Hungerkrise geht. Sonst wird es keine nachhaltige Lösung geben.

Corina Pfitzner leitet das Deutschland-Büro des International Rescue Committee.

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