Kurs halten für den Klimaschutz

Bund und Länder müssen zusammen der Bahnindustrie aus der Krise helfen, um damit der Umwelt zu helfen. Der Gastbeitrag.
Banges Warten hat begonnen für einen mittelständischen Zulieferer in der Bahnindustrie. Denn wegen globaler Engpässe in den Lieferketten wird der Spezialkunststoff, den er zukauft, nicht mehr binnen 30 Tagen eintreffen, sondern mit Glück nach 300 Tagen. Doch die Produktion braucht diesen Kunststoff. Und die vielen speziellen Computerchips – stückweise sonst für drei Euro, nun für galaktische 130 Euro. Obendrein sind Stahlkomponenten zehnmal so teuer wie noch vor drei Monaten. All dies war weder abwendbar noch vorhersehbar. Voll sind die Auftragsbücher beim Weltmarktführer. Doch jetzt drohen tiefrote Zahlen. Mindestens.
Fiktion? – Nein, drastische Realität für zu viele Unternehmen in der erfolgreichen Bahnindustrie. Gewiss, grüne Mobilität boomt weltweit. Doch nach Jahren der globalen Pandemie und infolge des Angriffskriegs Russlands stehen Lieferketten extrem unter Druck. Materialmangel und Preisauftrieb hinterlassen immer tiefere Spuren. Teils existenziell bedrohliche. Sollten essenzielle Zulieferer vom Markt verschwinden, können ganze Pfade der Wertschöpfung kollabieren. Viel steht auf dem Spiel: Klimaschutz braucht mehr Schiene. Lebensqualität modernste U-Bahnen, schicke Trams und schmucke Bahnhöfe. Und Europa braucht starke Zukunftsindustrien.
Was Bund, Länder und Sektor tun können, um der Schiene in dieser Krise zu helfen, muss jetzt geschehen. Nötig ist eine „Partnerschaft Schiene für Klimaschutz“. Drei Dinge sind entscheidend.
Erstens, Kurs halten für die Klimaziele. Europa will bis 2050 klimaneutral sein. Schon heute emittiert die Schiene nur 0,5 Prozent der verkehrlichen Treibhausgase Europas. Nun spurt der Koalitionsvertrag die Zukunft: Doppelt so viele Reisende bis 2030 für die Schiene gewinnen. Machbar ist das mit Schiene 4.0, radikal mehr Angebot samt digitaler Vernetzung aller Verkehrsträger.
Dekarbonisierung und Energieeffizienz haben zudem sicherheitspolitische Relevanz. Als Klimaindustrie steht die Bahnindustrie für gesellschaftliche Ziele: emissionsfreie Mobilität und wirtschaftliche Resilienz. Klimaschutz ohne Aufschub bleibt der richtige Imperativ.
Faire Lastenteilung nötig
Zweitens, faire Lastenteilung in Partnerschaft rasch realisieren. Selbstverständlich gilt angesichts der furchtbaren menschlichen Tragödien in der Ukraine das Primat der Politik und der Menschlichkeit. Die Bahnindustrie in Deutschland verurteilt den brutalen russischen Angriffskrieg auf das Schärfste und setzt vollumfänglich alle Sanktionen aus voller Überzeugung strikt um. Zur Verantwortung gehört es auch, wirtschaftliche Folgen zu analysieren und abzumildern. Der Stresstest bahnindustrieller Lieferketten schon vor dem Krieg hat sich verschärft. Räder, Achsen oder Kabel zum Beispiel werden oft aus der Ukraine bezogen.
Bund, Länder und Sektor sind gemeinsam gefordert. Absurde Preisrallys und Liefertermine, die zum Vexierrätsel geraten: Hersteller sind oft schlicht außerstande, seriöse Angebote zu kalkulieren. Dann können sie kein Angebot abgeben – so stehen die Räder bald still. Oder nach Art eines Glücksritters halsbrecherische Angebote legen – Casino statt Qualitätswettbewerb. Beides wäre fatal.
Deshalb sind bei neuen Verträgen faire Regeln mit Preisgleitung so wichtig. Die ist schon erfolgreich erprobt und muss sehr rasch zum Standard avancieren. Vor dem Krieg vertraglich fixierte Preise bleiben trotz Mehrkosten oft bindend. Doch bei dokumentierten massiven Preissprüngen etwa für Rohstoffe den Sektor im Regen stehen zu lassen, wäre ein volkswirtschaftliches Desaster.
Solange Materialien für Züge unabwendbar nicht lieferbar sind, Fristen also unverschuldet verstreichen, darf es keine Pönalen geben. Die Politik muss handeln. Sie kann auf die glasklare Selbstverpflichtung im Verband der Bahnindustrie vertrauen, dass politische Unterstützungsmaßnahmen in der gesamten bahnindustriellen Wertschöpfungskette bis zum Mittelstand durchwirken.
Drittens, Zukunftsindustrie in Europa stärken. Übers Jahr muss die Politik den strategischen Kompass für die Schiene grundlegend neu kalibrieren: für Wertschöpfung „Made in Europe“ und globale Marktöffnung eintreten, Subventionen für außereuropäische Staatskonzerne deutlicher unter die Lupe nehmen, Cybersicherheit für Schiene 4.0 priorisieren, Abhängigkeiten verhindern, offensiv in Schiene 4.0 investieren, die digitale Souveränität Europas sichern.
Am Scheideweg: Bund, Länder und Sektor stehen in hoher Verantwortung. Für Klimaschutz. Für die Menschen. Es gibt, mit Erich Kästner, nicht Gutes, außer man tut es. Sehr bald sind partnerschaftliche Lösungen zu etablieren, um die Turbulenzen in den Lieferketten beherrschbar zu halten. Und für Schiene 4.0 Kurs.
Ben Möbius ist Hauptgeschäftsführer des Verbands der Bahnindustrie in Deutschland (VDB).