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„Bringt mir den Kopf von Gerhard Schröder!“

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Gerhard Schröder (SPD), ehemaliger Bundeskanzler, zu Beginn einer Anhörung im Wirtschaftsausschuss des Bundestags zum Pipeline-Projekt Nord Stream 2 im Sitzungssaal.
Gerhard Schröder (SPD), ehemaliger Bundeskanzler, zu Beginn einer Anhörung im Wirtschaftsausschuss des Bundestags zum Pipeline-Projekt Nord Stream 2 im Sitzungssaal. (2020) © Kay Nietfeld/dpa

Ein Fanal für den Friedenskanzler Gerhard Schröder: Die gegenwärtige Diskussion um ihn ist eine Scheindebatte. Der satirische Gastbeitrag.

Meine irreführende Überschrift hat offensichtlich Ihre Aufmerksamkeit auf diesen Text gelenkt. Bei „Bringt mir den Kopf von Gerhard Schröder!“ handelt es sich um ein Zitat vom leider längst verstorbenen Christoph Schlingensief. Doch die darin enthaltene Aufforderung dürfte Ihnen in diesen Zeiten gar nicht allzu befremdlich vorkommen, da kaum ein Tag vergeht, an dem sich nicht die gesamte Bundesrepublik wutschnaubend und geifernd auf Gerhard Schröder stürzt. Und so ganz kann ich das nicht nachvollziehen. Der Zorn erscheint mir sogar schlimmer als zu Zeiten, da Schröder noch maßgeblich und damit tatsächlich höchstpersönlich für Ihr und mein Auskommen im sozialen Gefüge unserer Gesellschaft und für die Positionierung Deutschlands in der internationalen Ordnung verantwortlich war.

Zunächst möchte ich in meine Ausführung an eben diese Zeit anknüpfen und auf meine eigene Gerd-Geschichte eingehen. Zu meiner ersten Bundestagswahl als wahlberechtigter Bürger – es war 2002 – verschwendete ich meine Stimmen an die SPD. Der Currywurst- und Flaschenbierkanzler hatte es mir als unregelmäßigen und desinteressierten Konsumenten mittelmäßiger Nachrichtenformate persönlich in die Hand versprochen, dass Deutschland sich unter seiner Regentschaft nicht am US-amerikanischen Angriffskrieg auf den Irak beteiligen würde. Für mich Grund genug, ihm mein vollstes Vertrauen und die damit verbundene Wahlentscheidung zu schenken.

CDU war nie ein Gegenentwurf zur SPD mit Gerhard Schröder

Als er sich 2005 geringfügig vorgezogen wieder zur Wahl stellte, war ich – von den einschneidenden Maßnahmen in der Sozialpolitik im vollen Umfang betroffen – nicht mehr dazu bereit und wählte falsch, beziehungsweise Die Linke. Fatal! Das sollte sich als schwerer Fehler herausstellen, meine Stimme hätte sicher Merkel und damit Schlimmeres verhindert, so zumindest wird mir die Wertigkeit meiner Stimme seit jeher vor jeder einzelnen Wahl von den etablierten Spaßparteien vermittelt, denn damals wie heute und immerdar ging es ausnahmsweise mal um alles!

Schon die berühmte Elefantenrunde, in der Schröder mit beeindruckend viel Pegel und Paroli seine Niederlage negierte, machte mir meinen Fehler der falschen Wahlentscheidung schmerzlich bewusst. Wie konnte ich mit dem Bewusstsein weiterleben, sowas Lustiges abgewählt zu haben? Aber gut. Das Leben und mit diesem absolut alles, das ich an der Regierung Schröder kritisiert hatte, gingen einfach weiter und auch fast 17 Jahre später ist das alles unverändert noch da.

Und da kommen wir zu einem Punkt. Wie oft musste ich schon erleben, dass Menschen androhten, die CDU zu wählen, um es der SPD mit ihren Hartz-IV-Gesetzen mal so richtig zu zeigen. Wie dumm kann man denn bitte sein? Verstehen Sie mich nicht falsch, jeder noch so vorgeschobene und absurde Grund, die SPD nicht zu wählen, ist natürlich ein richtiger Grund. Aber die CDU? Wann hat denn die CDU in 16 Jahren Regierung die Schröder’schen Sozialgesetze abgeschafft oder wenigstens abgemildert?

Gerhard Schröder: Mit Gazprom mehr oder weniger direkt für Russland

Doch das ist ja gerade nicht das Thema. Der Genosse der Bosse sitzt gegenwärtig im Aufsichtsrat vom russischen Ölkonzern Rosneft und der Nord Stream AG, einem Gaspipelinebetreiber, dessen Mehrheitseigentümer der russische Staatskonzern Gazprom ist. Schröder arbeitet also mehr oder minder direkt für Russland. Von diesen sicherlich ausreichend vergüteten Posten, von denen er das eingeklagte Mietrecht im Haus seiner Ex-Frau wohl locker stemmen kann und die ihm auch die zeitgemäß völlig vertretbare Ablösezahlung an den Ex-Besitzer seiner jetzigen First-Lady ermöglichen dürften, will Schröder trotz hohen öffentlichen Drucks einfach nicht zurücktreten. Deshalb wurde ihm schon die Ehrenmitgliedschaft bei Borussia Dortmund entzogen. Schlimm.

Die Stadt Hannover hatte eingeleitet, ihm die Ehrenbürgerschaft zu entziehen, dem kam Schröder jedoch mit einem seinerseitigen Verzicht zuvor. Glück für Hannover. So unfassbar langweilig und irrelevant diese Stadt auch sein mag, den Entzug der Ehrenbürgerschaft gab es bisher lediglich für Adolf Hitler und dessen Nazi-Kollegen Bernhard Rust. Ob man dann ausgerechnet Schröder mit ebenjenen in eine Reihe stellen muss, während man beispielsweise Paul von Hindenburg weiterhin als Ehrenbürger mitträgt… na ja, das muss dieser Vorort von Braunschweig mit sich selbst ausmachen.

SPD-Parteiausschluss für Gerhard Schröder?

Und dann ist da noch die SPD, die per Initiative einiger Ortsverbände prüft, Gerhard Schröder aufgrund seines Festhaltens an seinen fragwürdigen beruflichen Positionen aus der Partei auszuschließen. Was will man ihm denn noch wegnehmen? Seine Ex-Frauen? Zur Erinnerung: Sebastian Edathy ist immer noch SPD-Mitglied, aber der hatte ja nur diese belanglose Sache mit den Kinderpornos, also kein Vergleich mit den Kriegsverbrechen eines Gerhard Schröder, Lobbyist für Unternehmen zu sein, die – wenn es die heutige Regierung ernst meinen würde – in Deutschland ohnehin keinen Markt mehr vorfinden.

Es ist aber eben diese Regierung, die gegenwärtig weiterhin an der Gaspipeline Nord Stream 1, die immer noch mit maximaler Auslastung Putin-Gas nach Deutschland liefert und damit den Angriffskrieg auf die Ukraine finanziert, festhält. Sicher, Robert Habeck macht bereits Deals mit anderen Rentierstaaten wie Katar, um von Russland unabhängig zu werden. Dann wird man eben vom nächsten Regime abhängig, what should possibly go wrong? Aber das vorgeschobene Problem ist und bleibt Schröder, weil er Geld von denen bekommt, die von Deutschland bezahlt werden. Die ganze gegenwärtige Diskussion um Gerhard Schröder ist eine Scheindebatte.

Das mag einigen gefallen, denn er ist ein alter Mann, der sich gegen die scharfen, öffentlichen Angriffe kaum wehren kann. Zumindest gilt das spätestens, seit ihm sogar sein ehemaliger Regierungssprecher Béla Anda weggelaufen ist und den Podcast „Die Agenda“ als letztes großes Sprachrohr einfach eingestellt hat. Ja, selbst sein Büroleiter samt Team hat sich im Kanzleramt von ihm wegversetzen lassen. Bei der Gelegenheit: Hey Gerd, ich bin moralisch sehr flexibel und habe Büro gelernt. Für ein angemessenes Salär könnte ich mir vorstellen, dass wir ins Geschäft kommen könnten. Ich bin zwar nicht korrupt, aber käuflich!

Schröder und Putin: Wenn auch Trinkbrüder nichts mehr ausrichten können

Statt über all diesen Anfeindungen zu verzweifeln oder sinnvollerweise seine fragwürdigen Ämter einfach niederzulegen, bleibt mein Kanzler seiner Linie aber treu und packt das einfach selbst an. Ein echter Macher wie eh und je, der sich auf eigene Faust ins Flugzeug setzt und in Moskau das Gespräch am langen (wirklich sehr langen) Tisch des Bösen sucht, um doch noch zu schlichten. Der Ausgang des Ganzen ist bekannt, einen Irren wie Putin kann auch das gute Zureden alter Trinkbrüder nicht mehr aus der militärischen und mentalen Sackgasse leiten. Dennoch bleibt festzuhalten, dass ein Mann wie Gerhard Schröder, der es sogar geschafft hat, Deniz Yücel aus dem Kerker des türkischen Willkürstaates herauszudiplomatisieren, zumindest für mich mit mehr Hoffnung auf die Fähigkeit des Friedensbringers verbunden war, als wahnsinnige Hundertmilliarden Euro in die Aufrüstung der Bundeswehr zu verballern. Eine irrwitzige Zahl, die ich lieber ausschreibe, damit ich mich nicht um ein paar Nullen vertue.

Wir wissen ja alle, dass Waffen schon immer hervorragend als Friedenssymbole fungierten, denken wir nur an die berühmte Harmonie-AK47 oder die Friedens-V2. Milde stimmt mich da eigentlich nur, dass der geübte Blick der Wehrkritiker natürlich darum weiß, dass ein Gros dieses Geldes nicht in Waffen, sondern in Beratungshonorare und vielleicht die Restauration eines historischen Übungszeppelins oder sowas versickern wird. Dann ist es immerhin gut für die Wirtschaft. Ein nuklear hochgerüsteter Staat wie Russland fürchtet aber sicher keine deutsche Armee, deren Jets künftig vielleicht sogar fliegen können. Mit einer Hundertmilliarden-Stromgewinnungs- und Wärmepumpenoffensive könnte man Moskau wahrscheinlich deutlich mehr entgegensetzen und würde den Altkanzler damit wahrscheinlich auch noch ganz nebenbei in den Altersruhestand schicken und sich versehentlich selbstauferlegten Klimazielen nähern.

Fazit: Es ist eine berechtigte Kritik, dass Gas-Gerd an Gas-Geld festhält. Die Vehemenz und Sanktionsfreude, mit der er aber durch die breite Öffentlichkeit zum Sündenbock und beinahe schon zum Alleinverantwortlichen für den russischen Angriffskrieg gemacht wird, lässt mich jedoch staunen. Ich würde mir wünschen, wir richteten unsere kritische Aufmerksamkeit etwas mehr auf den sich anbahnenden Aufrüstungswahn. Aber, um zum Abschluss Schröder selbst zu zitieren: „Man kann es so oder so machen. Ich bin für so.“ (Dominic Harapat)

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