1. Startseite
  2. Meinung
  3. Gastbeiträge

Kein Platz für Blech

Erstellt: Aktualisiert:

Kommentare

Nach einer repräsentativen Umfrage des WZB sind zwei Drittel der Bewohnerinnen und Bewohner des Berliner Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg für die komplette Abschaffung privater Parkplätze im öffentlichen Raum. (Symbolbild)
Nach einer repräsentativen Umfrage des WZB sind zwei Drittel der Bewohnerinnen und Bewohner des Berliner Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg für die komplette Abschaffung privater Parkplätze im öffentlichen Raum. (Symbolbild) © dpa / Sebastian Gollnow

Seit Jahrzehnten dürfen Autos auf öffentlicher Fläche parken. Das muss nicht so bleiben. Der Gastbeitrag.

Wie können Regeln verändert werden, die gleichsam wie Naturgesetze erscheinen? Das Auto ist so ein Beispiel: Eine Reihe von Gesetzen und Verordnungen hat den privaten Wagen ganz bewusst privilegiert, damit Fahrzeuge populär werden und sich möglichst viele Leute Autos kaufen und damit auch weite Strecken fahren können.

Diese Politik stammt noch aus den 1950er Jahren, und keines dieser Gesetze ist bis heute abgeschafft worden. Parallel werden immer noch Straßen gebaut. Der Bundesverkehrswegeplan beruht in seinen wesentlichen Planungs- und Entscheidungsgrundlagen auf Prämissen der 1960er Jahre und legt für die nächsten Jahrzehnte Bauvorhaben fest.

Im Ergebnis haben wir damit eine Verkehrspolitik, deren Ziele und Instrumente aus einer längst vergangenen Zeit stammen. Denn das Staatsziel – alle sollen sich Autos leisten können – ist nahezu erreicht, aber die Folgen für das Klima, für die Gesundheit von Mensch und Tier werden mittlerweile kritisch eingeschätzt. Es wäre also Zeit für eine Anpassung.

Doch wie? Jan Böhmermann hat es uns eigentlich schon vorgemacht. Der ZDF-Moderator hat einen ausländischen Staatslenker mit den unflätigsten Beschimpfungen versehen und damit gegen einen noch bestehenden Paragrafen des Strafgesetzbuchs verstoßen. Böhmermann wurde wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsorgans angeklagt. Damit wurde einer breiten Öffentlichkeit dieser Sachverhalt überhaupt erst bekannt.

Die Aktion Böhmermann hat dazu geführt, dass die Absurdität dieses aus der Zeit gefallenen Straftatbestandes offenkundig und sichtbar wurde. Längst Schnee von gestern, mündige Gesellschaften brauchen so etwas nicht mehr. Das Ergebnis: Das Verfahren gegen Böhmermann ging zwar zunächst weiter (es wurde später eingestellt), aber in einem für die deutsche Verwaltung rekordverdächtigen Tempo verschwand der Paragraf aus dem Strafgesetzbuch.

Der Autor

Andreas Knie leitet am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) die Forschungsgruppe zur „digitalen Mobilität“.

Auf den Verkehr übertragen könnte der analoge Plan folgendermaßen funktionieren: Menschen besetzen öffentliche Parkräume mit Fahrrädern, Rollern, mit Tischen und Stühlen oder mit anderen Gegenständen. Gastronomen erweitern ihre Außenflächen und bieten Speisen und Getränke auf Parkplätzen an, der Einzelhandel verkauft Waren auf den Stellflächen.

Was wird passieren? Das Ordnungsamt wird einschreiten, die Räumung anmahnen und, wenn dem nicht Folge geleistet wird, saftige Strafen aussprechen. Denn das Parken von Autos auf öffentlichen Straßen gehört zum Gemeingebrauch, man hat sozusagen ein Recht darauf. Wenn die Flächen nicht geräumt werden, wird sicherlich ein betroffener Anwohner dieses Recht vor einem Verwaltungsgericht einklagen und feststellen lassen wollen, dass die öffentlichen Parkstreifen nicht für eine gemütliche Sitzecke oder den Verkauf von Speisen und Getränken genutzt werden dürfen, sondern ausschließlich für das Abstellen von Kraftfahrzeugen. Selbst wenn diese überhaupt nicht genutzt werden und einfach als private Mobilitätsreserve funktionieren.

Was würde wohl ein Verwaltungsgericht entscheiden? Der Begriff „Gemeingebrauch“ ist ja interpretationsbedürftig, und es gibt keine für alle Zeiten gültige Definition. Interessanterweise ist das Parken auch nur deshalb Gemeingebrauch geworden, weil ein Bremer Kaufmann in den 1950er Jahren ständig seinen Kleinlastwagen auf öffentlichen Straßen dauerparken ließ. Nach der damals geltenden Rechtslage war aber das „Laternenparken“ gar nicht erlaubt. Autos durften nur für das Be- und Entladen auf öffentlichen Flächen abgestellt werden.

Der Bremer Kaufmann widersetzte sich, und 1966 gab ihm dann das Bundesverwaltungsgericht höchstrichterlich recht. Die Begründung: Der Staat möchte ja, dass alle Autos haben, und mittlerweile stellen die Menschen ihre Fahrzeuge ja wirklich überall ab, damit soll das jetzt auch für legal erklärt werden.

Und heute? Das Bundesverfassungsgericht hat die Bundesregierung zu einer wesentlich konsequenteren Klimaschutzpolitik verpflichtet. Wenn fast alle Menschen Autos haben, es mittlerweile sogar einige zu viel gibt, hat sich die Ausgangslage ja grundlegend verändert. Nach einer repräsentativen Umfrage des WZB sind zwei Drittel der Bewohnerinnen und Bewohner des Berliner Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg für die komplette Abschaffung privater Parkplätze im öffentlichen Raum.

Gut, Kreuzberg ist nicht Berlin und Berlin nicht Deutschland. Es könnte aber sein, dass ähnlich wie im Fall Böhmermann die Absurdität für alle öffentlich sichtbar wird, nämlich das Recht, ein privates Auto auch im Jahre 2021 immer noch auf öffentlichen Flächen abzustellen – auch wenn man es gar nicht oder nur gelegentlich nutzt. Vielleicht würde am Ende sogar das Bundesverwaltungsgericht den Gemeingebrauch neu definieren. Damit könnte das private Parken aus der Straßenverkehrsordnung auf dem gleichen Weg wieder verschwinden, wie es dort hineingelangt ist.

Auch interessant

Kommentare