Indigene und Lula unterstützen

Der brasilianische Präsident muss entschlossen die Indigenen schützen, schreibt Sarah Shenker von der Menschenrechtsorganisation „Survival International“.
Als Jair Bolsonaro am 28. Oktober 2018 zum Präsidenten von Brasilien gewählt wurde, bedrückte das viele unserer Awá- und Tenetehar-Freunde. Uns allen wurde bewusst, welch große Bedeutung dieser Moment für Brasiliens Indigene haben würde. „Wir können uns nicht von einem karaiw, einem weißen Mann, aufhalten lassen. Wir halten seit dem Jahr 1500 der Invasion stand und werden jetzt erst recht nicht aufgeben“, sagte einer der Männer.
Die nächsten vier Jahre sollten für Brasiliens Indigene die brutalste Zeit seit dem Ende der Militärdiktatur werden. Der gewählte Präsident war unverblümt rassistisch: „Es ist eine Schande, dass die brasilianische Kavallerie nicht genauso effizient war wie die Amerikaner, die ihre Indianer ausgerottet haben“, und „Die Indianer entwickeln sich; sie werden immer mehr zu menschlichen Wesen, wie wir“, sagte er einst. Im Dezember 2018 eröffneten Bewaffnete das Feuer auf Dutzende indigene Tremembé-Familien im Bundesstaat Maranhão – ein beängstigendes Vorzeichen für das, was noch kommen sollte.
Die kriminellen Landräuber:innen wurden durch Bolsonaros Schutzversprechen und seine völkermörderischen Forderungen nach Gesetzen, die den Diebstahl von indigenem Land für die industrielle Ausbeutung erleichtern, ermutigt. Die Invasionen schossen in die Höhe: Brände wüteten, Goldgräber:innen vergifteten Flüsse mit Quecksilber, Wälder wurden abgeholzt, riesige Soja- und Rohrzuckerfelder breiteten sich aus und der Geruch von Pestiziden lag in der Luft. Und als dann die Pandemie ausbrach, brachten die Holzfäller:innen und Bergleute das für Indigene tödliche Coronavirus in ihre Gemeinden.
Damiana, die Anführerin einer Guarani-Gemeinde in Südbrasilien, sagte zu mir: „In unserem eigenen Land sind wir Flüchtlinge. Sie haben uns das Land geraubt und möchten uns nun umbringen. Sie haben uns alles genommen, außer die Hoffnung, dass wir eines Tages in unser Land zurückkehren können.“ Sie lebt heute in einer mit Planen bedeckten Hütte am Straßenrand, nachdem ihre Gemeinde von sogenannten Landbesitzern angegriffen wurde.
Viele sind den Angriffen zum Opfer gefallen: Waldhüter Paulo Guajajara; Vitor Guarani, den die Militärpolizei im Guapo’y-Massaker tötete; Landrechtexperte Bruno Pereira und der Journalist Dom Phillips wurden im amazonischen Javari-Tal ermordet. „Es sind jetzt schon fast vier sehr intensive Jahre. Ich befinde mich hier weiterhin im Widerstand. Viel Erfolg in diesem Kampf“, war Brunos letzte Nachricht an uns. Massaker an Unkontaktierte werden von Außenstehenden häufig nicht bemerkt, so dass ihre Aufdeckung Jahre dauern kann.
Wir mussten uns an eine düstere Routine gewöhnen: Fluten an WhatsApp-Nachrichten, Foto- und Videobeweise, Telefonate mit Betroffenen und Krankenhäusern; E-Mails an Regierungsvertreter:innen, die UN, Menschenrechtsorganisationen, Journalist:innen; Lobbyarbeit mit Ministerien sowie Supermärkten, welche durch ihre Käufe den indigenen Genozid unterstützen, und die Forderung, das Problem an der Wurzel anzupacken.
Die Entschlossenheit der Indigenen, ihre Territorien zu verteidigen, war stärker und inspirierender als je zuvor. Ihr Land ist für sie Nahrung, Zuflucht, Medizin und Religion. Waldwächter:innen, aber auch indigene Kongressabgeordnete wie Joenia Wapichava zeugen vom unermüdlichen Widerstand gegen die ständigen legislativen Attacken.
In Brasilien und über 100 Ländern protestierten Mitstreiter:innen an der Seite von Indigenen durch (Online-)Aktionen (#StopBrazilsGenocide) für das Recht auf ein sicheres und selbstbestimmtes Leben. Auf unseren Plattformen konnten sich Indigene an die Weltöffentlichkeit wenden. Dank gezielter Kampagnen konnten tödliche Gesetzentwürfe und Verfassungsänderungen gestoppt und Landschutzverordnungen erneuert werden.
Am 30. Oktober 2022 gewann Luiz Inácio Lula da Silva die Präsidentschaftswahlen. Viele weinten vor Freude und Erleichterung über Lulas Zusagen, den indigenen Kampf zu unterstützen. Die neue Regierung wird aber eine große Entschlossenheit brauchen, um den schweren Schaden an indigenen Institutionen rückgängig zu machen und sich gegen die anti-indigenen Kongressabgeordneten durchzusetzen, zumal die Gier der globalen Märkte die Zerstörung der Biodiversität weiter vorantreibt.
Indigene und ihre Mitstreiter:innen fordern: Inter- und nationales Recht einhalten, große Infrastrukturprojekte, die indigenes Land zerstören, blockieren und indigene Gebiete schützen, damit die Menschen nicht nur überleben, sondern auch in Würde leben können.
Sarah Shenker arbeitet für die Menschenrechtsorganisation Survival International mit indigenen Völkern in Südamerika zusammen.