Im Iran protestiert die Zukunft des Landes gegen Unterdrückung und Misswirtschaft

Revolutionäre Bewegungen gingen im Iran schon immer von der Jugend aus. Die EU muss bei ihrer Außenministerkonferenz ein Zeichen setzen. Der Gastbeitrag.
Es ist offensichtlich, dass die landesweiten Proteste im Iran von immer jüngeren Menschen geleitet und ausgeführt werden. Nun haben die Proteste zum ersten Mal Gymnasien und andere Schulen erreicht.
Ein Viertel der Bevölkerung ist unter 14 Jahre alt und bekommt bereits seit der Geburt die volle Härte, die ein Leben im Iran bietet, zu spüren. Ausgegrenzt von der Außenwelt und gefangen unter einer fundamentalistischen Herrschaft erfahren die Minderjährigen im Iran, was es bedeutet, Leid zu ertragen.
Sie sind Zeug:innen, wie ihre Mütter und Schwestern in der Gesellschaft unterdrückt werden und oftmals Prostitution das einzige ist, was die Familie finanziell absichert. Sie erleben, wie sich ihre Väter dafür schämen, die Familie nicht ernähren zu können. Ein Vater sagt: „Ich verspreche meinem Kind seit drei Jahren ein Fahrrad.“
Protestbewegung im Iran: Hohe Arbeitslosenquote und Männerquote an Universitäten
Freizeitaktivitäten gibt es kaum und wenn, dann nur für Kinder aus der oberen Schicht, meist Kinder der regierungsnahen Familien. Talente werden nicht gefördert, kulturelle Programme begrenzt angeboten. Selbst mit gutem Hochschulabschluss endet das Leben im Iran für viele oft in einer Sackgasse.
Die Misswirtschaft der Ayatollahs führt zu einer enorm hohen Arbeitslosenquote. Besonders für Frauen ist das Leben im Iran eine Qual. 60 Prozent der Absolvent:innen an den Universitäten sind Frauen, dennoch leiden sie am meisten unter dem Ausschluss auf dem Arbeitsmarkt. Das iranische Regime führte eine Männerquote an den Universitäten ein, um die Teilnahme der Frauen einzudämmen. Die patriarchalische Vorstellung der Mullahs besagt, dass Männer die Familie zu ernähren haben und bevorzugt zu behandeln seien.
Getötete bei Protesten im Iran: Viele Opfer sind minderjährig
Hervorstechend ist daher die hohe Teilnahme von Minderjährigen an den aktuellen Protesten und traurigerweise auch die Zahl der getöteten Minderjährigen. Unter ihnen die 16-jährige Sarina Esmailzadeh. Eine junge Schülerin voller Lebensfreude und so vielen Träumen. Sie wurde während den Protesten von den Milizen des Regimes totgeprügelt.
Sarina war ein großer Borussia-Dortmund-Fan. Obwohl sie im Iran nie die Möglichkeit hatte, in einem Fußballstadion zu sitzen, das verbietet das Gesetz für Frauen, haben Fans ein großes Banner im Dortmunder Stadion aufgehängt mit der Aufschrift „Hey BVB, last week you lost a fan. Sarina Esmailzadeh (16) was killed by the Islamic Regime of Iran“.
In den westlichen Medien ist die Kernfrage vorherrschend, ob diese Proteste einen Umsturz im Iran bewirken können. Die Antwort auf diese Frage hängt von vielen Faktoren ab. Unter anderem, wie der Rest der iranischen Bevölkerung die Unterdrückung des iranischen Regimes durchbrechen will.
Über die Autorin
Sahar Sanaie ist Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche. Als Menschen- und Frauenrechtsaktivistin ist sie in der „Association Internationale pour légalite des femmes“ tätig.
Proteste gegen das Regime im Iran: Das Volk war noch nie so unzufrieden wie heute
Hinzu kommt, wie weit die Revolutionsgarden und ihre Söldner im In- und Ausland gehen werden. Das iranische Volk war noch nie so unzufrieden mit dem Regime wie heute und die Jugendlichen im Iran noch nie so sehr gewillt, sich dem Unterdrückungsapparat zu widersetzen. Sie sehen unter diesem Regime keine Zukunft für sich und nehmen furchtlos an Protesten teil.
Die aktuellen Proteste sind vor allem der Verdienst von vielen kleinen Widerstandseinheiten im Iran, die im ganzen Land agieren und sehr gut vernetzt sind. Die massiven Internetsperren im Iran waren eine Reaktion auf die Versiertheit der Jugend in den Bereichen Technik und soziale Netzwerke. Dass die Proteste trotz der brutalen Unterdrückung des Regimes weiter anhalten, ist ihnen zu verdanken.
Präsident Raisi und der Gouverneur von Teheran werfen der Oppositionsbewegung Volksmojahedin (MEK) vor, verstärkt Gymnasiast:innen und Student:innen in diesen Widerstandsgruppen zu organisieren.
Unterstützung für Proteste im Iran: Europa muss den diplomatischen Druck erhöhen
Für die Jugendlichen im Iran sind schöne Worte nicht hilfreich. Sie stärken zwar ihre Moral, ändern jedoch nichts an der Stärke ihres Feindes. So lange Europa nicht dem Regime entschlossen die rote Karte zeigt, wird der Protestbewegung nicht auf Dauer geholfen sein.
Am heutigen Montag (17. Oktober) findet die EU-Außenministerkonferenz in Luxemburg statt. Die Terrorlistung der Revolutionsgarde, die systematisch Demonstrant:innen jagt und tötet, sollte auf der Tagesordnung stehen. Die Ausweisung iranischer Diplomat:innen und die Abberufung von EU-Botschafter:innen aus Teheran können den diplomatischen Druck erhöhen, um die Unterdrückung der Proteste zu stoppen. Das wäre im Sinne von vielen Frauen und Jugendlichen, die ihr Leben für Freiheit riskieren. (Sahar Sanaie)