Hunger darf keine Kriegswaffe sein

Die UN müssen ihr Versprechen umsetzen und sich weltweit dafür einsetzen, dass sich alle Menschen ernähren können. Der Gastbeitrag von Jan Sebastian Friedrich-Rust.
Kriege, bewaffnete Konflikte und Gewalt sind die Hauptursachen für Hunger und Mangelernährung auf der Welt. Seit 2015 nimmt die Zahl der Hungernden zu. 828 Millionen Menschen haben keinen regelmäßigen Zugang zu Nahrung. 258 Millionen Menschen in 58 Ländern leiden akut an Hunger und benötigen dringend Hilfe. Die Folge: Gesundheit und Leben der betroffenen Menschen sind massiv gefährdet.
Mangelernährung ist die weltweit größte Bedrohung für das Überleben von Kindern. Mehr als 45 Millionen Kinder unter fünf Jahren leiden unter akuter Mangelernährung. Diese tritt ein, wenn dem Körper nicht genug Nahrung zugeführt wird und er seine Energiereserven verbraucht.
Der Körper beginnt, auf der Suche nach Nährstoffen und nach überlebenswichtiger Energie, sein eigenes Gewebe zu verbrauchen, beginnend mit Muskeln und Fett. Dadurch verlangsamt sich der Stoffwechsel des Körpers, die Temperaturregulierung wird gestört, die Nierenfunktion beeinträchtigt und das Immunsystem funktioniert nur noch eingeschränkt. Je größer der Verlust an Muskelmasse und anderem Gewebe, desto größer die Gefahr, ein weiteres Kind zu verlieren.
Der dramatische Anstieg des weltweiten Hungers steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der wachsenden Anzahl und der Intensität bewaffneter Konflikte und der eklatanten Missachtung des humanitären Völkerrechts durch Kriegsparteien. Darunter leidet vor allem die Zivilbevölkerung.
Mehr als 85 Prozent der 258 Millionen Menschen, die akut an Hunger leiden, leben in Ländern, die von Kriegen und Konflikten betroffen sind. Zudem tragen extreme Wetterereignisse, wirtschaftliche Schocks und steigende Lebensmittelpreise zu der aktuellen Ernährungskrise bei.
Im Jahr 2022 war die Bevölkerung in sieben Ländern – Somalia, Südsudan, Jemen, Afghanistan, Haiti, Nigeria und Burkina Faso – von einer Hungersnot bedroht. Alle diese Länder haben mit langwierigen Konflikten oder Unsicherheit zu kämpfen.
Die Auswirkungen von bewaffneten Konflikten auf die Ernährungssicherheit wirken meistens indirekt – zum Beispiel, wenn das Einkommen wegfällt, die landwirtschaftliche Produktion eingeschränkt wird oder Transportwege sowie die Wasserversorgung unterbrochen werden. In einigen Fällen wirken Konflikte auch direkt, wenn bewaffnete Parteien politische oder kriegerische Handlungen strategisch einsetzen, um ganze Bevölkerungsgruppen auszuhungern.
Die Zerstörung grundlegender Infrastruktur und sozialer Grundversorgung während gewaltsamer Auseinandersetzungen, die wir in vielen Konfliktkontexten beobachten können, ist eine gängige Taktik, um die bereits angeschlagene sozioökonomische Situation von Gemeinden noch weiter zu verschlechtern. Dazu gehören groß angelegte und systematische Verwüstungen von Häusern und Gemeinden, die Plünderung und Zerstörung von Saatgut, Nahrungsmitteln und Vieh sowie gezielte Angriffe auf Mitarbeitende humanitärer Hilfsorganisationen.
Das humanitäre Völkerrecht verbietet ausdrücklich, unentbehrliche Güter wie Nahrungsmittel, landwirtschaftliche Felder, Ernten, Vieh und die Wasserversorgung anzugreifen, zu zerstören oder auf andere Weise unbrauchbar zu machen. Vor fünf Jahren verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) einstimmig die Resolution 2417 zum Schutz der Zivilbevölkerung, die den Zusammenhang zwischen Konflikten und Hunger anerkennt und den Einsatz von Hunger als Waffe als fundamentales Kriegsverbrechen einstuft. Seitdem hat der durch Konflikte verursachte Hunger jedoch zugenommen.
Die Weltgemeinschaft ist Verpflichtungen eingegangen und hat Rahmenbedingungen geschaffen, um die Zivilbevölkerung zu schützen und zu verhindern, dass Hunger als Kriegswaffe eingesetzt wird. Es ist höchste Zeit, diese Versprechen in konkrete Maßnahmen umzusetzen.
Wir fordern die UN-Staaten auf, ihren Einfluss zu nutzen, um Kriegsparteien für ihre Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht zur Rechenschaft zu ziehen und dafür zu sorgen, dass der Zugang zu lebensrettender humanitärer Hilfe gewährleistet ist. Die internationale Gemeinschaft muss sich für Frieden und Ernährungssicherheit weltweit einsetzen. Denn im Krieg ist Hunger eine tödliche Waffe.
Jan Sebastian Friedrich-Rust ist Geschäftsführer der humanitären und entwicklungspolitischen Organisation Aktion gegen den Hunger.