1. Startseite
  2. Meinung
  3. Gastbeiträge

Reichsbürger, Bürgerwehren und Querdenker: Vigilantismus gefährdet Demokratie

Erstellt:

Von: Benno Hafeneger

Kommentare

Vigilanten wie etwa die Reichsbürger sind Personen, die das Gewaltmonopol des Staates infrage stellen und glauben, das Recht in die eigene Hand nehmen zu dürfen.
Vigilanten wie etwa die Reichsbürger sind Personen, die das Gewaltmonopol des Staates infrage stellen und glauben, das Recht in die eigene Hand nehmen zu dürfen. © Imago/Christian Ohde

Der Rechtsstaat muss gegen Personen vorgehen, die das Recht in die eigene Hand nehmen. Der Gastbeitrag.

Die Bundesrepublik ist seit einiger Zeit mit zwei Phänomenen des rechtsextremen Vigilantismus konfrontiert und dies in einem Ausmaß, wie wir es bisher nicht kannten. Unter Vigilanten versteht man Personen, die das Gewaltmonopol des Staates infrage stellen und glauben, das Recht in die eigene Hand nehmen zu dürfen.

Da ist einmal die Reichsbürger- und Querdenkerszene mit ihren Vernetzungen vor allem zu ehemaligen Aktiven in Militär und Polizei, dann sind es die selbst ernannten Bürgerwehren, die es in vielen Kommunen Deutschlands gibt und die vor allem in Nordrhein-Westfalen in vielen Stadtteilen im Ruhrgebiet auf sich aufmerksam machen. Es ist zugleich ein europäisches Phänomen. In Frankreich spricht man von Vigilantismus als sozialer Bewegung.

Vigilantistische Bewegungen sind historisch nicht neu

Erstere agieren klandestin und hatten als politische Vigilanten gerade geplant, über einen bewaffneten Putsch mit Gewalt und Terror die Macht zu übernehmen. Letztere inszenieren sich öffentlich und reichen von – so die unterschiedlichen Typen – unpolitischen „Nachbarschaftswachen/-hilfen“ bis hin zu organisierten rechtsextremen „Patrioten“ mit „Raumergreifung“ sowie „Aktionen“. Öffentlich geworden sind sie mit ihren sogenannten Spaziergängen auf der Straße, mit Kontrollgängen im Nachbarschaftsbereich und in Vierteln von Stadtteilen.

Vigilantistische Einzelpersonen, Gruppen und Aktivitäten sind historisch nichts Neues. Sie reichen zurück bis zum Kapp-Putsch im Jahr 1920, mit dem versucht wurde, gewaltsam die Macht zu übernehmen. Auch in der Geschichte der Bundesrepublik gab es in jeder Dekade sowie nach dem Mauerfall wiederholt vigilantistische Inszenierungen, Gewalttaten und Terror von Einzeltätern und Gruppen aus der rechtsextremen Szene; so die Angriffe auf Unterkünfte für Geflüchtete, die NSU-Morde, die Morde von Hanau oder die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten.

Vigilantismus: Ein Phänomen mit älteren Männern

Der Vigilantismus ist vor allem ein Phänomen, in das erwachsene und ältere Männer hermetisch eingebunden sind. Sie wollen am Ende ihres Radikalisierungsprozesses mit Gewalt und Terror die staatliche Ordnung beseitigen und die Macht übernehmen; oder, wie die Bürgerwehren, sich auf der Straße öffentlich gegen diesen Staat bekennen und ihn bekämpfen. Es sind keine Phänomene, die mit einem – wie auch immer gearteten und motivierten – rebellischen Verhalten von Jugendlichen verbunden sind, sondern Männer, die sozial aus der Mitte der Gesellschaft kommen und bürgerliche Berufe hatten beziehungsweise haben.

Die vigilantistischen Inszenierungsformen sind mit einem traditionellen und wehrhaften Männlichkeits- und Körperbild verbunden. Dieses wird in den beiden Szenen unterschiedlich – mit Bewaffnung und Militarisierung oder mit Präsenz und demonstrativer Stärke auf der Straße – ausgedrückt. Beide sind von nativistischen und rassistischen Narrativen geprägt. Dabei versteht man unter nativistisch die Ideologie, wonach bestimmte Personen qua Geburt Vorrechte genießen sollten.

Vigilantismus gefährdet liberale und rechtstaatliche Demokratie

Nach den Morden durch den NSU und in Hanau, den Erkenntnissen aus Untersuchungsausschüssen und der öffentlichen Debatte hat eine politische Neubewertung des extremen und gewaltbereiten Extremismus eingesetzt. Es ist weitgehend Konsens, dass von ihm die zentrale Gefährdung der liberalen und rechtsstaatlich verfassten Demokratie ausgeht. Dies war und ist verbunden mit zahlreichen rechtlichen Änderungen und einem Ausbau des Verfassungsschutzes, mit Verboten von Gruppen, Durchsuchungen und Verhaftungen.

Weiter gibt es eine Sensibilisierung und Fortbildung der Polizei, und auch die Förderung von präventiven und aufklärenden Bildungsanstrengungen in Schule und Zivilgesellschaft hat sich breit entwickelt. Mit dem Bundesprogramm „Demokratie leben“ und zahlreichen Landesprogrammen gibt es eine beachtliche bildende und beratende Infrastruktur. Dies geht in die richtige Richtung und soll mit dem Demokratiefördergesetz jetzt auch als Daueraufgabe gesichert werden.

Benno Hafeneger ist Erziehungswissenschaftler der Universität Marburg.

Aber es gibt nach wie vor Dunkelfelder und Kenntnislücken über die rechtsextreme Szene, deren innere Entwicklungen und Vernetzungen, und die vigilantistische Szene gehört zu den gewaltbereiten und gewalttätigen Gruppierungen des rechtsextremen, demokratie- und menschenfeindlichen Lagers. Ob es weitere gibt und in welchem Ausmaß sie existieren, ist unklar. Hier bedarf es intensiver polizeilicher und geheimdienstlicher und vor allem auch wissenschaftlicher Aufklärungsarbeit.

Gegen diesen Vigilantismus muss der demokratische und wehrhafte Rechtsstaat konsequent und dauerhaft politisch, rechtsstaatlich und dienstrechtlich vorgehen. Dazu gehören ein dichter Beobachtungs- und Kontrolldruck der Szenen, Gruppen- und Organisationsverbote, Waffenverbote ebenso wie Auflagen bei Aufmärschen der sogenannten Bürgerwehren. (Benno Hafeneger)

Auch interessant

Kommentare