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Trump, Bolsonaro und der Neonazifaschismus in Nord- und Südamerika

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Die Krawalle in Brasilia sollten einen Militärputsch vorbereiten. Jair Bolsonaro folgt dem Skript seines US-amerikanischen Vorbildes Donald Trump und hinterlässt ein gezeichnetes Land. Von Paula Macedo Weiß und Jean Goldenbaum.

Unglücklicherweise hat vieles von dem, was in Brasilien an Verwerflichem geschieht, seit jeher und bis heute mit den USA zu tun. Manchmal waren es die direkte Intervention oder Vorgaben, wie zu Zeiten der brasilianischen Militärdiktatur 1964 bis 1985, die zu einem Großteil durch die USA unterstützt und finanziert wurde (nicht nur in Brasilien, sondern auch in anderen Ländern Lateinamerikas). Manchmal genügten das Vorbild oder der Einfluss negativer politischer Ereignisse in Washington, um von Brasilien rasch „importiert“ zu werden. So im Fall des Bolsonarismus, der aus Sicht vieler ohne den Trumpismus nicht einmal entstanden wäre.

Brasiliens Ex-Präsident Jair Bolsonaro selbst spiegelt sich immer wieder in seinem US-Pendant Donald Trump, und 2016, als die riesige Fake-News-Maschine des damaligen Kandidaten für das Weiße Haus die US-amerikanische Gesellschaft überfiel, leistete der damalige Parlamentsabgeordnete Bolsonaro gerade seinen Betrag zum parlamentarischen Putsch gegen die damalige Präsidentin Dilma Rousseff. Und er tat dies im großen Stil im Sinne der extremen Rechten und widmete seine Stimme für die Amtsenthebung dem verstorbenen Oberst Carlos Brilhante Ustra, dem Hauptverantwortlichen für die Folterung von Dilma Rousseff nach ihrer Verhaftung als Gegnerin der Diktatur 1970.

Imitation von Trumps Aufruf zum Sturm auf den Kongress in Brasiliens Hauptstadt.
Imitation von Trumps Aufruf zum Sturm auf den Kongress in Brasiliens Hauptstadt. © Eraldo Peres/dpa

Als gelehrsamer Schüler der erfolgreichen Strategie Trumps, der sein Land auf nie gekannte Weise mit einer Mischung aus Fake News, Verschwörungstheorien und Hassrede überzog, kopierte Bolsonaro zwei Jahre später genau dies, als er 2018 für die Präsidentschaft Brasiliens kandidierte. Indem er Trumps Mechanismus aus Unwahrheiten und Hass noch um ein System unaufhaltsamer Bombardements bolsonaristischer Informationen im Internet und über neue Systeme der Telefonie verfeinerte, gewann der Mann aus dem Hinterland von São Paulo das Rennen um das Präsidentenamt, während Luiz Inácio Lula da Silva der politischen und gesellschaftlichen Tragödie aus dem Gefängnis heraus zusehen musste. Zu Unrecht inhaftiert aufgrund einer Offensive, die ausgerechnet der damaligen Richter Sergio Moro betrieb, der später – was dann schon niemanden mehr überraschte – Justizminister unter Bolsonaro wurde, kam Lula erst im November 2019 wieder frei, als sich der komplette Prozess, für den er hinter Gittern gewesen war, als illegal herausgestellt hatte.

Jair Bolsonaro hat Donald Trump als Vorbild

Die vier Jahre der Präsidentschaft Bolsonaros waren gezeichnet von einer Demontage des Bildungssystems, der Rückkehr des Landes auf die Weltkarte des Hungers, unermesslicher Korruption, Umweltzerstörung, Anheizen von Hass auf Minderheiten, ständig drohenden Schlägen gegen den Rechtsstaat, die Leugnung wissenschaftlicher Fakten in der Covid-19-Pandemie und der vollständigen Isolierung Brasiliens von der internationalen Gemeinschaft. Bolsonaro stellte sich nicht nur als Vertreter der extremen Rechten heraus, sondern erwies sich als Anhänger faschistischer und nazistischer Ideologien. Eine Nähe, die zahlreiche Bücher, Artikel und andere Publikationen von Forschenden und Fachleuten auf diesem Gebiet belegen.

Im Vorfeld der Wahlen 2022 zögerte Bolsonaro nicht, sich abermals in Trump zu spiegeln. Seine Strategie war erneut die seines New Yorker Vorbilds – das Wahlsystem seines Landes zu diskreditieren und die Prämisse zu etablieren: „Wenn ich gewinne, waren die Wahlen korrekt, wenn ich verliere, waren sie es nicht.“ Auf diese Parole schwor er seine Millionen Follower ideologisch ein. Als Lula ihn dann am 30. Oktober (mit einer winzigen Differenz, 50,9 Prozent zu 49,1 Prozent und einem Vorsprung von wenig mehr als zwei Millionen Wählerstimmen) besiegte, wurde der Plan in die Tat umgesetzt. Ein Großteil seiner Gefolgsleute – die sich zu diesem Zeitpunkt bereits wie die Anhängerschaft einer religiösen Sekte verhielten – weigerte sich, die Wahl anzuerkennen und setzte einen Kreuzzug für eine Militärintervention in Gang, die Bolsonaro als Präsident wieder einsetzen und den Streitkräften die Wiederherstellung der Ordnung im Land unter dem Kommando des ehemaligen Oberbefehlshabers übertragen sollte.

Zwei Monate nach den Wahlen, am 1. Januar 2023, übernahm Lula zum dritten Mal in seinem Leben die Präsidentschaft, gefeiert von seiner Anhängerschaft und unter den hasserfüllten Augen eines Teils der Bolsonaristen. Die Situation schien tatsächlich zu eskalieren, und aufgrund der trump-bolsonaristischen Logik war nicht auszuschließen, dass etwas Ähnliches wie der Sturm auf das Kapitol in Washington am 6. Januar 2021 auch in der brasilianischen Hauptstadt versucht werden würde.

Sturm auf das US-Kapitol - Sturm auf das brasilianische Regierungsviertel

Was dann auch geschah. Bolsonaro spielte die nächste Karte seiner Imitation der absurden Aktion Trumps aus, und am 8. Januar stürmten und schändeten etwa 4000 Gefolgsleute des Ex-Präsidenten die drei Gebäude der brasilianischen Staatsgewalt (Kongress, Regierungspalast und das Oberste Bundesgericht), demolierten Kulturdenkmäler und bedeutende Symbole unserer Kultur. Die Aktion war wohl als Auslöser einer Militärintervention gedacht. Doch diesen Rückhalt der Spitze der Streitkräfte hatte Bolsonaro nie, und so scheiterte dieser Versuch eines Putsches.

Zwei rechtsextreme Ex-Präsidenten: Donald Trump und Jair Bolsonaro (2019 in Washington, D.C.)
Zwei rechtsextreme Ex-Präsidenten: Donald Trump und Jair Bolsonaro (2019 in Washington, D.C.) © Manuel Balce Ceneta/dpa

Andererseits war der Aufstand nur möglich, weil die für die Sicherheit der Hauptstadt verantwortlichen Behörden mit Bolsonaro paktierten und sich den Anordnungen des Justizministers der neuen Regierung Lula, Flávio Dino, widersetzten, der den Sturm hatte kommen sehen. Mittlerweile wurden die Verantwortlichen dafür suspendiert und die Hauptstadt steht unter Verwaltung der Bundesebene.

Zu den Autor:innen

Paula Macedo Weiß ist Präsidentin der Stiftung Museum Angewandte Kunst. Sie kommt ursprünglich aus Brasilien, lebt seit 1998 in Frankfurt. Ihr Debütbuch, „Es war einmal in Brasilien“ erschien 2020 bei der Axel Dielmann Verlag. Ihr neues Buch „Reden wir über Demokratie“ kam Ende Mai 2022 auch bei Axel Dielmann Verlag raus und besteht aus 14 Essays. 

Jean Goldenbaum ist Musiker und politischer Kommentator. Er ist Forscher am ‚Europäischen Zentrum für jüdische Musik‘ der ‚Hochschule für Musik Hannover‘ und Kolumnist der brasilianischen politische Zeitung Brasil247, wo er über Brasilien, Deutschland, Israel und die USA schreibt.

Zum Thema Brasilien gibt es in Frankfurt am 23. Januar, 19 Uhr, eine Diskussion zwischen Eduardo Suplicy, Politiker und Begründer der Partei partido dos trabalhadores, und Jonas Wolff (Universität Frankfurt). „Demokratie in Aufruhr“ heißt der Abend in der Historischen Villa Metzler am Schaumainkai. Ausrichter ist das Forschungszentrum Normative Ordnungen der Goethe-Uni.

Das historische Ereignis beweist nun endgültig, dass Bolsonaro die Wahlen verloren hat, doch der bolsonaristische Nazifaschismus lebt weiter. Der Sturm auf die demokratischen Institutionen Brasiliens war möglich, weil Bolsonaro noch große Teile der Kontrollstruktur seiner Anhängerschaft in der Hand hält. Es gibt weiterhin Tausende Financiers für putschistische Bestrebungen (darunter millionenschwere Unternehmer, ebenso wie Organisationen), hinzu kommen all jene, die terroristische Akte wie den vom 8. Januar 2023 tatsächlich begehen. Deswegen ist, auch wenn inzwischen um die 2000 Personen für dieses Verbrechen verhaftet worden sind, sehr klar, dass sie lediglich der ersetzbare untere Bodensatz der faschistischen Pyramide sind, an deren Spitze sich immer noch Bolsonaro befindet.

Trump und Bolsonaro: Neofaschismus auf dem amerikanischen Kontinent

Zu erwähnen ist auch, dass sich der Ex-Präsident seit dem 31. Dezember in den USA aufhält und sich als erstes Staatsoberhaupt seit der Redemokratisierung Brasiliens geweigert hat, das Amt persönlich an seinen Nachfolger zu übergeben (wie Trump, der nicht zur Amtseinführung von US-Präsident Joe Biden kam).

Es gibt keinen Zweifel, der einzige Weg, den Neofaschismus auf dem amerikanischen Kontinent effektiv zu bekämpfen, wäre die Verhaftung seiner beiden größten Anführer, Trump und Bolsonaro. Während ersterer sich der stumpfen Justiz seines Landes stellt und vermutlich nicht nur nicht inhaftiert werden wird, sondern auch nicht einmal das Recht verlieren dürfte, 2024 erneut für die Präsidentschaft zu kandidieren, fürchtet letzterer Konsequenzen. Tatsächlich war der Vorsitzende des brasilianischen Obersten Bundesgerichts, Alexandre de Moraes, eine Schlüsselfigur in der Verteidigung der demokratischen Institutionen des Landes gegen Bolsonaros Regierung. Und gemeinsam mit Lula als Chef der Exekutive wird er einen Haftbefehl erwirken können, selbst wenn der betreffende Bürger sich noch in Trumps Landen versteckt. Die Beweise dafür dürften ausreichen.

Sollten Moraes und Lula die Auslieferung Bolsonaros aus den USA bei den dortigen Behörden beantragen wollen, müssen sie sich allerdings beeilen. Es gibt Spekulationen, der ehemalige Präsident schmiede bereits weitere Fluchtpläne. Aufgrund seiner italienischen Vorfahren beantragte er inzwischen die italienische Staatsbürgerschaft, und sollte er sie bekommen, wäre es nur eine Frage der Zeit, bis er auch in seine neue Heimat abreist.

Italien - ein Fluchtland für Bolsonaro?

Das Timing wäre perfekt für ihn, denn dann wäre er nicht nur EU-Bürger, sondern auch in dem Land der Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, der höchsten Repräsentantin des heutigen Mussolini-Faschismus. Bolsonaro wäre hier sicher. Zum Glück positionieren sich im italienischen Parlament bereits demokratische Stimmen gegen eine Vergabe der Staatsbürgerschaft an ihn und seine Kinder. Der Ausgang ist offen.

Nicht ganz ausgeschlossen ist aber auch, dass sich Bolsonaro zu einer freiwilligen Rückkehr nach Brasilien entschließt – auch weil jüngste Meldungen nahelegen, er leide unter nicht ganz harmlosen gesundheitlichen Problemen, die er in seinem Land behandeln lassen möchte. So könnte er versuchen, den Anschuldigungen direkt vor Ort zu begegnen, im Schutz der Menge seiner Gefolgsleute.

Wir leben in historischen Zeiten des Kampfes gegen die nun erneuerten und aktualisierten und doch grausamsten und zerstörerischsten Ideologien, die die Welt je erleben und erleiden musste. Ihre Anführer hatten bereits ihren Aufstieg und ihre Zeit auf dem Thron. Nun muss sich erweisen, ob ihr Sturz wirklich gelingt – zum Wohle der augenscheinlich fragilen Demokratien und für die Zukunft der Menschheit als Ganzes.

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