Für Stadtnatur

Der Klimawandel zwingt uns, den städtischen Lebensraum zu verändern. Der Gastbeitrag von Matthew Gandy.
Die Frage nach einer lebendigen Stadtnatur und der Begrünung der Städte ist in den vergangenen Jahren auf der politischen Agenda immer weiter nach oben gerückt. Aber was ist Stadtnatur und warum sollten wir uns für sie interessieren? Sie ist mehr als Parks, Gärten oder konstruierte Elemente des Stadtraums. Es geht um das gesamte Spektrum spontaner Natur, die uns überall umgibt, wie die Vögel, Insekten und insbesondere das „Unkraut“, das vor unserer Haustür floriert.
Anstelle der begrenzten Vorstellungen von Natur, denen wir üblicherweise in der Architektur, dem Ingenieurwesen oder der Stadtplanung begegnen, will ich hervorheben, wie nicht-menschliches Leben in Städten dazu einlädt, Neues zu entdecken und sich verzaubern zu lassen.
Städte können als sichere Zufluchtsorte der Natur dienen. Tatsächlich ist die städtische Biodiversität oft größer als in den monokulturellen Landschaften außerhalb der Stadtgrenzen. Seit dem 19. Jahrhundert machen Stadtbotaniker:innen auf die außergewöhnliche Pflanzenvielfalt in Städten aufmerksam.
Die Ankunft von Kojoten, Füchsen und anderen Tieren im 20. Jahrhundert hat die städtischen Ökosysteme vielfältiger und dynamischer gemacht. Viele Vogelarten haben sich sogar vollständig an städtische Umgebungen angepasst. Manche Ökolog:innen erkennen inzwischen an, dass die städtische Biodiversität genauso wertvoll und interessant ist wie andere Arten der globalen Biodiversität.
Im Zuge der Covid-19-Pandemie besuchten viele die Grünflächen ihrer Stadt. Intensive Formen der sozialen Isolation verdeutlichen die Notwendigkeit von Natur als Quell der Erholung, insbesondere für Haushalte ohne private Gärten oder Balkone. Direkte Begegnungen mit der Natur führten bei vielen Stadtbewohner:innen zu einem wachsenden Interesse an der städtischen Tierwelt. Sie lauschten dem Vogelgezwitscher, unternahmen botanische Streifzüge durch benachbarte Viertel.
Zum Autor
Matthew Gandy ist Professor für Geografie an der University of Cambridge, Dokumentarfilmer und Autor.
Die Stadtnatur bietet einen Überfluss an Bioindikatoren, die uns helfen, Umweltveränderungen zu erkennen. Flechten, die auf städtischen Oberflächen wachsen, dienen seit Langem als lebende Sensoren für das Ausmaß der Luftverschmutzung. Die sich ändernde Pigmentierung von Motten in Industriestädten etwa spielte eine entscheidende Rolle für das Verständnis der Evolution.
In Zukunft werden Städte viel stärker von der Natur abhängig sein, wenn sie mit Herausforderungen wie Überhitzung und Überschwemmungen fertig werden müssen. Wenn es nicht mehr möglich ist, sich auf vorhandene ingenieurtechnische Lösungen zu verlassen, um diese Risiken zu verhindern, werden eine Vielzahl neuer Wege erforderlich, wie der Bau von Schwammstädten, die mehr Wasser aufsaugen und den natürlichen Hochwasserschutz besser nutzen können als bisherige städtische Überschwemmungsgebiete.
In ähnlicher Weise werden umfangreiche Gründächer und andere lebende Oberflächen nicht nur dazu beitragen, Regenwasser abzufangen, sondern auch die Stadtbewohner*innen vor extremen Temperaturen zu schützen.
Noch etwas: Der Kontakt mit der Natur macht uns glücklich. Selbst die banalsten Alltagsbegegnungen können eine Quelle der Freude sein: Wer am Abendhimmel Mauersegler zwitschern hört oder einen Schmetterling beobachtet, der über eine blühende Brache fliegt, empfindet ein Gefühl der Ruhe in der Stadt. Ohne den direkten Kontakt zur Stadtnatur gibt es wenig Hoffnung auf eine allgemeine Steigerung des Umweltbewusstseins.
Viele der übersehenen oder verschmähten „Unkraute“, die in den Straßen wachsen, sind nicht nur schön, sondern auch faszinierende Portale in die globale Geschichte. Ein kurzes Stück eines Bürgersteigs in einer modernen Stadt umfasst für gewöhnlich Pflanzen aus der ganzen Welt. Die gesamte Stadt ist somit ein botanischer Garten: Es fehlen nur die Schilder, die erklären, um welche Pflanzen es sich handelt und woher sie kommen. Diese kosmopolitischen Ökologien anzuerkennen, entspricht der städtischen Kultur, die für soziale wie ökologische Unterschiede offen ist.
Die Anerkennung des Rechts der Natur darauf, in Städten zu gedeihen, hat auch ethische Konnotationen. Wenn wir uns mehr um die nicht-menschlichen Lebensformen kümmern, die den städtischen Raum mit uns teilen, könnte dies eine umfassendere Reflexion über unseren Umgang mit der Natur auf globaler Ebene nach sich ziehen.
Die Lebensmittel, Energie und Ressourcen, die das städtische Leben unterhalten, hängen eng mit Rohstoffgrenzen, industrialisierter Landwirtschaft und allen Arten von Infrastruktursystemen zusammen. Ein größeres Interesse an der Natur, einschließlich eines ethischen Umgangs mit Tieren, hätte vielfältige Auswirkungen auf globale Umweltveränderungen, inklusive der menschlichen Gesundheit. Nicht zuletzt liegen die Ursprünge der Covid-19-Pandemie in den durch Umweltzerstörung hervorgebrachten zoonotischen Übergangszonen, die in Biodiversitäts-Hotspots des globalen Südens entstanden sind.