Für eine robuste Arzneimittelversorgung

Die Pandemie sollte verdeutlicht haben, wie wichtig Innovationen sind. Diese darf niemand einschränken. Ein Gastbeitrag vom Martin Beck (Boehringer Ingelheim).
Der von der Bundesregierung Ende Juli vorgelegte Gesetzentwurf zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen gefährdet den Biotechnologie- und Produktionsstandort Deutschland und widerspricht den im Koalitionsvertrag festgehaltenen Zielen. Nichts Geringeres als die Innovationskraft der pharmazeutisch forschenden Industrie steht derzeit auf dem Spiel.
Die gesetzlichen Krankenkassen werden im Jahr 2023 ein historisches Defizit in Höhe von 17 Milliarden Euro verzeichnen. Die Gründe für das Finanzloch sind vielfältig. Zum einen hat die Covid-19 Pandemie zu höheren Ausgaben geführt, zum anderen gibt es strukturelle Herausforderungen, wie den demografischen Wandel. Versäumnisse in der Vergangenheit haben zusätzlich dazu beigetragen, dass die Finanzierung der Krankenkassen heute auf wackligen Beinen steht.
Klar ist: Die Bundesregierung steht aufgrund der drohenden Finanzlücke unter großem Handlungsdruck. Mit dem vorgelegten Kabinettsentwurf des GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (kurz GKV-FinStG) reagiert sie nun mit einer Reihe von Reformen. Ohne Reform müssten Beiträge massiv steigen. Von den Reformen werden viele betroffen sein. Doch die Belastung der heimischen Pharmaindustrie ist besonders hoch – obgleich innovative Arzneimittel nicht die Kostentreiber sind, sondern vielmehr zu Kosteneffizienzen führen.
Ein fatales Signal. Gerade zu Beginn der Covid-19 Pandemie traten Lieferengpässe bei teilweise lebenswichtigen Arzneimitteln für Erkrankungen, wie Bluthochdruck, Krebs und Epilepsie auf. Dies verdeutlichte, wie anfällig das deutsche Versorgungssystem ist. Zunehmende politische Instabilitäten haben und werden den Druck auf die internationalen Versorgungsketten weiter erhöhen. Folgerichtig haben sich die EU wie auch die Bundesregierung das Ziel gesetzt, die Abhängigkeit von ausländischen Märkten im Arzneimittelsektor zu verringern und die Stabilität der heimischen Versorgung zu erhöhen.
In Deutschland drängt die Regierung trotzdem auf ein Gesetz, das die Weiterentwicklungen in diesem wertschöpfenden Bereich erheblich bremsen würde. Während die Bundesregierung verkündet hat, Arzneimittel inklusive der Wirk- und Hilfsstoffproduktion verstärkt in Deutschland und der EU herzustellen, droht das GKV-FinStG genau das Gegenteil zu bewirken.
Besonders die überhastete und einseitige Modifikation am Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) beschädigt die Planungssicherheit massiv. Das AMNOG-Verfahren bildet die Rahmenbedingungen für die Preisverhandlungen zwischen dem GKV-Spitzenverband, die zentrale Interessenvertretung der gesetzlichen Krankenkassen, und pharmazeutischen Herstellern.
Ist die Wirksamkeit eines neuen Arzneimittels besser als die bisherige Therapie, so erhält dieses auch einen besseren Preis. Mit Beschluss des Gesetzes soll jedoch gelten: Geringere Preise für gleichwertige Produkte und gleiche Preise für bessere Produkte. Zusätzlich werden noch weitere Belastungen, wie durch das verlängerte Preismoratorium sowie die Steigerung des Herstellerrabatts, hinzukommen. Wir sind bereit unseren Teil beizutragen. Aber maßvoll.
Das GKV-FinStG steht folglich für eine Politik, die eine langfristige strategische Ausrichtung verkennt, Deutschland zu einem innovativen Zentrum im globalen Wettbewerb zu machen. Es gibt vernünftige Alternativen, um das Finanzdefizit zu schließen und gleichzeitig Arzneimittelinnovationen Made in Germany nicht zu gefährden. Diese sind bereits im Koalitionsvertrag festgehalten und würden zur langfristigen finanziellen Stabilisierung der Krankenkassen beitragen.
Die Arzneimittelforschung ist risikoreich und kostenintensiv. Um ein Medikament auf den deutschen Markt zu bringen müssen im Durchschnitt 13 Jahre und bis zu 1,6 Milliarden Euro investiert werden. Allein Boehringer Ingelheim löst in Deutschland unmittelbar eine Wertschöpfung von 6,1 Milliarden Euro aus. Fast 30 Prozent davon stammen aus Forschungstätigkeiten.
Die Pandemie sollte allen verdeutlicht haben, wie wichtig Innovationen sind. Forschende Pharmaunternehmen werden auch künftig einen wertvollen Beitrag zur Förderung der Gesundheit und zur Lösung von gesundheitspolitischen Krisen leisten. Unverzichtbar dafür bleiben jedoch richtungsweisende politische Entscheidungen – und im Zweifel Korrekturen.
Boehringer Ingelheim ist Deutschland tief verbunden: Volkswirtschaftlich, als Arbeitgeber und mit dem Beitrag zur Reputation Deutschlands als führender Gesundheitsstandort. Daher plädieren wir für eine Politik mit Augenmaß und eine tatsächliche Strukturreform der Finanzierung der Krankenkassen.
Martin Beck ist Geschäftsführer Human Pharma Deutschland bei Boehringer Ingelheim.