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Femizid, nicht Liebe

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2018 in Montpellier: Frauen erinnern an die 2003 von ihrem Partner getötete Schauspielerin Marie Trintignant. Der Anlass: Sie demonstrieren gegen den damals hier geplanten Auftritt des Täters, eines französischen Sängers.
2018 in Montpellier: Frauen erinnern an die 2003 von ihrem Partner getötete Schauspielerin Marie Trintignant. Der Anlass: Sie demonstrieren gegen den damals hier geplanten Auftritt des Täters, eines französischen Sängers. © afp

Gewalt gegen Frauen muss gestoppt werden. Ein Gastbeitrag von Isabelle Lonvis-Rome, französische Ministerin für Geschlechtergerechtigkeit, und Bundesfamilienministerin Lisa Paus.

Als eine französische Schauspielerin vor Jahren von ihrem Lebensgefährten zu Tode geprügelt wurde, schrieb man in der französischen Presse von einer „amour fou“. Als ein ehemaliger Deutscher Meister im Boxen seine Frau erschoss, las man in der deutschen Presse von einem „Eifersuchtsdrama“. Glücklicherweise gibt es diese verklärende Sichtweise inzwischen immer weniger.

Etwa jeden dritten Tag stirbt in Frankreich wie in Deutschland eine Frau durch die Hand ihres Partners oder Ex-Partners. Immer mehr Menschen verstehen: Wenn Männer ihre Partnerinnen töten, dann hat das nichts mit Liebe zu tun und auch nichts mit Ehre – sondern oft mit Besitzanspruch. Es geht um die perfide Idee, dass Männer über das Leben von Frauen bestimmen dürften. Deshalb ist es wichtig, den Mord an einer Frau, weil sie eine Frau ist, klar zu benennen: als Femizid.

Wir sind zwei europäische Länder mit dem Erbe der Aufklärung, von Immanuel Kant und Simone de Beauvoir, von Hannah Arendt, Michel Foucault und Giselle Halimi. Doch selbst im Jahr 2023 glauben einige unserer Bürger immer noch, Frauen wären ihr Eigentum. Trotz der Gleichheitsgrundsätze, die in der französischen Verfassung und im deutschen Grundgesetz verankert sind, ist das patriarchalische Denken noch nicht überwunden.

Seit zwölf Jahren gibt es die Istanbul Konvention. Dieser Vertrag des Europarates ist das umfassendste internationale Rechtsinstrument zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, zur Gewährleistung des Opferschutzes und zur Bestrafung der Täter.

Dieser Meilenstein der Rechtsgeschichte ist aber längst Ziel von Desinformationskampagnen rechtspopulistischer Strömungen in Europa. Darin wird der Eindruck erweckt, die Konvention sei ein trojanisches Pferd, um neue Einwanderungs- oder LGBTIQ-Rechte durchzusetzen. Dagegen halten wir fest: Die Konvention hat das Ziel, Mädchen und Frauen vor allen Formen von Gewalt zu schützen.

Der Vertrag verlangt von seinen Unterzeichnerstaaten ein starkes Engagement zugunsten des Schutzes von Gewaltopfern. Die Verpflichtungen, die Frankreich und Deutschland mit der Istanbul Konvention übernommen haben, haben daher auch neue gesetzgeberische Impulse gesetzt.

In Deutschland wurde das deutsche Strafrecht in Bezug auf Vergewaltigung und sexuelle Nötigung 2016 aktualisiert. 2021 wurde der Tatbestand der Belästigung auf digitale Formen („Cyberharassment“) ausgeweitet.

In Frankreich führte die Debatte über Gewalt gegen Frauen zu fünf Gesetzen zum besseren Schutz der Opfer und ermöglichte die Einführung neuer Instrumente wie die elektronische Fußfessel sowie das gesetzliche Annäherungsverbot. Sexistische Verachtung wurde am 1. April 2023 in ihrer verschärften Form strafbar.

In Deutschland ist die Bekämpfung der zunehmenden digitalen Gewalt ein Schwerpunkt. Dagegen wenden sich mehrere Vorhaben, mit dem Ziel Beratungsstellen und Frauenhäuser für diese Risiken zu sensibilisieren, zu qualifizieren und technisch gut aufzustellen.

Frankreich hat auch ein Gesetz zur Schaffung einer Nothilfe für Opfer häuslicher Gewalt verabschiedet. Es ermöglicht, finanziell zu helfen, damit sie sich aus den Fängen ihrer gewalttätigen Partner befreien können. Die Nothilfe beinhaltet auch materielle, rechtliche und medizinisch-psychologische Unterstützung. Dieser Pack Nouveau Depart unterstützt diejenigen, die das Haus der Familie verlassen oder den gewalttätigen Ehepartner in sicherem Abstand halten möchten.

In Deutschland arbeitet der Bund mit den Ländern daran, die Finanzierung von Frauenhäusern und Beratungsstellen auf verlässliche Beine zu stellen. Bislang ist die Versorgungslage regional sehr unterschiedlich. Außerdem fehlt es an Schutz- und Beratungsplätzen für Betroffene und ihre Kinder. Die verlässliche Finanzierung der Hilfe- und Beratungseinrichtungen wird ein bundeseinheitlicher Rechtsrahmen sicherstellen.

Wie Emmanuel Macron beim G7-Gipfel in Biarritz zum Ausdruck gebracht hat, fordern Frankreich und Deutschland die Universalisierung der Istanbul-Konvention. Beim Gipfel in Elmau verpflichteten sich die G7 unter Leitung von Olaf Scholz, jedes Jahr Fortschritte bei der Gleichberechtigung zu überprüfen. Deshalb ist es wichtig, dass die EU als Ganzes die Istanbul-Konvention ratifiziert – eines der Ziele, die sich Schweden im Rahmen seiner EU-Präsidentschaft gesetzt hat.

Dieses Ziel unterstützen wir voll und ganz. Weil die Länder der Europäischen Union weiterhin Vorreiter der Menschenrechte sein müssen. Frauenrechte zu verweigern bedeutet, 52 Prozent der Menschheit die Rechte zu verweigern. Das können wir nicht akzeptieren.

Dieser Artikel wird am 11.Mai in „Le Monde“ veröffentlicht.

Isabelle Lonvis-Rome ist französische Ministerin für Geschlechtergerechtigkeit, Diversität und Chancengleichheit.

Lisa Paus ist Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

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