EU-Beitritt der Ukraine? Es gibt für das Land auch einen anderen Weg
Wer in die EU möchte, muss einen langen Aufnahmeprozess hinter sich bringen. Doch für die Ukraine gibt es eine Alternative. Der Gastbeitrag.
Frankfurt - Die Ukraine will sie, Moldova will sie, Georgien will sie auch: Eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union (EU). Das sogenannte Assoziierungs-Trio, in den letzten Jahren im Rahmen der Östlichen Partnerschaft der EU gebildet, hat nun Ernst gemacht. Am 28. Februar stellte die Ukraine ihren Beitrittsantrag, Moldova und Georgien zogen nach. Angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine beauftragte der Europäische Rat die Kommission schon kurz darauf, diese Anträge zu prüfen.
Die Signale des EU-Gipfels in Versailles am 10. und 11. März waren dennoch verhalten. Statt ein machtvolles politisches Zeichen zu setzen, blieb die Europäische Union in der Abwehrstellung gegen Neumitglieder, in der sie schon seit einiger Zeit verharrt. Zwar versicherten die versammelten Regierungschefs insbesondere der Ukraine, Teil der „europäischen Familie“ zu sein. Hoffnungen auf schnelle Beitrittsverhandlungen wollte aber niemand wecken.

Ukraine-Krieg: Die EU ist überfordert
Die Motive der drei Aspiranten sind verständlich. Angesichts des Überfalls auf die Ukraine geht es darum, ihre EU-Bindung stärker, schneller und verbindlicher zu gestalten. Dadurch versprechen sie sich noch umfangreichere Hilfen, aber auch mehr Sicherheit. Doch tatsächlich eignet sich der Beitrittsprozess kaum für geopolitische Abkürzungen. Womöglich dauert der Prozess gar Jahrzehnte.
Zum einen ist das Trio noch weit von der Beitrittsreife entfernt. Trotz aller Anstrengungen erfüllen sie die Kopenhagener Kriterien, die Voraussetzung für eine EU-Mitgliedschaft sind, nur ansatzweise: stabile demokratische und rechtsstaatliche Institutionen sowie wettbewerbsfähige Marktwirtschaften.
Umgekehrt ist die Union inzwischen überfordert, neue Mitglieder aufzunehmen. Ratspräsident Emmanuel Macron fordert schon länger ihren Umbau, um die Handlungsfähigkeit einer wachsenden Union zu sichern. Fortschritte gibt es derzeit nicht – die Kosten des gegenwärtigen Systems sind aber deutlich sichtbar.
Zur Person
Andreas Wittkowsky ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF).
So waren die internen Spannungen unter anderem wegen der Politik Polens und Ungarns in den letzten Monaten erheblich. Dass im Angesicht des Krieges ein beachtlicher Schulterschluss erfolgte, hat diese Probleme noch nicht gelöst. Die Einigkeit der Union ist vermutlich weniger nachhaltig als erhofft. Eine durch strukturelle Blockaden schwache Union ist aber weder in ihrem eigenen Interesse, noch in dem möglicher neuer Mitglieder. Dieses Dilemma bietet der EU nur zwei Optionen: Ein „Weiter so!“ oder aber eine Neuerung, die starke politische Symbolkraft hat.
EU-Beitritt der Ukraine: Assoziierte Mitgliedschaft als Vorstufe zur Vollmitgliedschaft
Eine Fortsetzung des Bisherigen würde das Assoziierungs-Trio auf einen jahrelangen Prozess verweisen, dessen Ausgang angesichts der beschriebenen internen Probleme der EU höchst ungewiss ist. Natürlich könnte man ihnen mehr Hilfe bieten, mehr Kooperation, womöglich eine Integration in den Europäischen Wirtschaftsraum. Materiell wäre den Beitrittskandidaten damit durchaus geholfen.
Doch die Frustration ist vorprogrammiert. Der EU gelingt es schon heute immer weniger, ihre Unterstützung für die Länder der Östlichen Partnerschaft so zu „verpacken“, dass sie vorwärtsweisende Impulse gibt. Das sehen wir auch auf dem Westbalkan: 20 Jahre verschleppter Perspektiven, teils selbstgemacht, teils aufgrund nicht eingehaltener Versprechen (so die Visaliberalisierung für Kosovo oder die mehrmals vertagte Aufnahme der Verhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien) haben die Glaubwürdigkeit der EU geschwächt. Angesichts ihrer technokratischen Hülle helfen die materiellen Anreize der EU immer weniger – das politische Momentum fehlt.
Die Alternative wäre, eine bereits um die Jahrtausendwende diskutierte Idee wiederzubeleben: Assoziierte Mitgliedschaften als Vorstufe zur Vollmitgliedschaft. Seinerzeit wurde dieser Vorschlag als Symbolpolitik verteufelt. Doch finstere Zeiten brauchen leuchtende Symbole.
Der politische Charme von assoziierten Mitgliedschaften: Sie ließen sich schnell realisieren. Assoziierte Mitglieder hätten Zugang zu den Angeboten, die ihnen die bestehenden Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union heute schon bieten. Sie könnten um zusätzliche Anreize ergänzt werden.
EU-Mitgliedschaft der Ukraine: Denkbar wäre ein Beobachterstatus
Gleichzeitig bliebe die vollständige Teilhabe an den Institutionen der EU verwehrt; denkbar wäre ein Beobachterstatus. Auf dieser Grundlage kann dann der folgende Weg zur Vollmitgliedschaft auch länger dauern, ohne permanente Enttäuschungen zu produzieren.
Mit diesem machtvollen politischen Zeichen könnte die EU so aus der lähmenden Defensive geraten, die ihr Ansehen – und damit auch ihr politisches Kapital – nachhaltig zu schädigen droht. (Andreas Wittkowsky)