Entwicklungspolitik präzisieren

Die Ampelkoalition sollte die Hilfen für andere Staaten nicht deckeln. Sie sollte Ziele definieren. Der Gastbeitrag.
Das Bundesfinanzministerium ist nicht gerade dafür bekannt, dass es sich über das Thema Entwicklungspolitik profiliert. Jüngst postete es jedoch folgende Nachricht auf Twitter: „Deutschland übernimmt international Verantwortung. 0,83 Prozent seines #BIP hat in 2022 für ODA-Leistungen verwendet und ist damit größter Geber der #G7. Eine weitere Verstärkung der öffentlichen Entwicklungsleistungen ist jedoch nicht möglich. #ODA“. Dazu dann noch eine Grafik mit den Entwicklungsleistungen (ODA – Official Development Assistance), inklusive humanitärer Hilfe, der G7-Staaten im Verhältnis zur jeweiligen Wirtschaftskraft (BIP).
Interessant ist das Posting, weil es die lobenswerten deutsche ODA-Leistungen vereinfacht und verzerrt. Außerdem werden sie verknüpft mit einer politischen Ankündigung: mehr Geld wird es nicht geben!
Zunächst ist einmal Deutschland nicht der größte Geber in der G7 oder der OECD. Dies sind weiter in absoluten Zahlen eindeutig die USA. Deutschland hat gleichwohl in den letzten Jahren seine Entwicklungsleistungen stark gesteigert. Tatsächlich lag die ODA-Quote mit 0,83 Prozent noch nie so hoch wie 2022. Dies ist beachtlich und anerkennenswert.
Und da andere Länder mit teilweise tiefgreifenden populistischen Trends zu tun haben, macht dies das deutsche Profil sichtbarer. Großbritannien etwa hat sich im Zuge seiner politischen Krise vom zweitgrößten Geber mit klarem entwicklungs- und außenpolitischen Gestaltungsanspruch zu einem diplomatischen Scheinriesen rückentwickelt.
Dem Finanzministerium ist sicher bewusst, dass von den deutschen ODA-Leistungen nur ein Teil aus dem Etat des Bundes stammt. Ein gewichtiger Teil sind entweder kalkulatorische Kosten (also keine echten Aufwendungen aus dem Haushalt) oder sogenannte Marktmittel.
Drei Beispiele: Leistungen für Flüchtlinge, die in Deutschland untergebracht werden, können unter bestimmten Kriterien als ODA gemeldet werden. Diese Mittel stehen nicht für Entwicklungsmaßnahmen in Partnerländern zur Verfügung. Das allein machte 12,8 Prozent der deutschen ODA im vergangenen Jahr aus. International wird darüber gestritten, ob die Geberländer in der OECD ihre ODA-Leistungen mit den Flüchtlingsaufwendungen im eigenen Land künstlich „aufblähen“.
Ähnlich sieht es bei den Studienplatzkosten aus, die für Studierende aus Entwicklungsländern als ODA gemeldet werden können. Dies sind kalkulatorische Kosten, die zudem von den Bundesländern getragen werden. Im Jahr 2020 waren dies immerhin rund sechs Prozent der deutschen ODA.
Drittens: Marktmittel, die die KfW mobilisiert und zu günstigen Konditionen als Förderkredite Partnerländern anbieten kann. Hier nutzt die Bundesregierung das Standing der KfW an den Finanzmärkten, um gute Konditionen für internationale Kooperationsvorhaben einzusetzen, ohne dass Mittel aus dem Bundeshaushalt eingesetzt werden. Für das letzte Jahr mit verfügbaren Daten (2020) waren das immerhin 5,9 Prozent der deutschen ODA.
Auch die Unterstützung der Ukraine wird ein relevanter und vor allem neuer Faktor für das Profil und den Umfang von Entwicklungszusammenarbeit sein. Hier geht es um die Folgen der russischen Aggression in der Ukraine. Die OECD-Länder stellten im vergangenen Jahr 16 Milliarden Dollar oder 7,8 Prozent ihrer ODA der Ukraine für zivile Zwecke zur Verfügung. Bei der EU-ODA, und damit anteilig auch für Deutschland, waren 38,4 Prozent für die Ukraine bestimmt; hinzu kommen bilaterale Mittel (1,5 Prozent der deutschen ODA).
Schließlich überlappen deutsche ODA-Leistungen mit Mitteln, die Deutschland für internationale Klimafinanzierung aufgrund internationaler Verpflichtungen bereitstellt. Kanzler Olaf Scholz, wie schon zuvor Angela Merkel, gibt dem weiteren Zuwachs eine hohe Priorität.
Im Jahr 2021 waren Haushaltsmittel in Höhe von 5,3 Milliarden Euro für Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen zugesagt, die überwiegend (über 85 Prozent) aus dem Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) kamen.
Eine entwicklungspolitische Strategiedebatte vor dem Hintergrund der massiven globalen Veränderungen – Stichwort „Zeitenwende“ – wird in Deutschland nur zaghaft geführt. Hier sind die russische Aggressionspolitik und die langfristigen Spannungen zwischen dem Westen und China enorm wichtig. Was kann und sollte Deutschland entwicklungspolitisch anstreben, wie sollten die Leistungen koordiniert werden? Eine solche Strategiedebatte sollte den transparenten Umgang mit den ODA-Zahlen einschließen, statt auf eine pauschale Deckelung der Leistungen zu setzen.
Stephan Klingebiel ist Forschungsprogrammleiter am German Institute of Development and Sustainability (IDOS) sowie Gastprofessor an der Ewha Womans University in Seoul, Südkorea.