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Ein Jahrzehnt der Investitionen

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Blick am frühen Morgen auf die sogenannte „Schuldenuhr Deutschlands“, die am Eingang des Gebäudes vom Bund der Steuerzahler Deutschland e. V. hängt. Heute beginnen die Koalitionsverhandlungen zur Regierungsbildung nach der Bundestagswahl.
Blick am frühen Morgen auf die sogenannte „Schuldenuhr Deutschlands“, die am Eingang des Gebäudes vom Bund der Steuerzahler Deutschland e. V. hängt. Heute beginnen die Koalitionsverhandlungen zur Regierungsbildung nach der Bundestagswahl. © dpa / Jörg Carstensen

Unser Land fährt auf Verschleiß – noch. Denn es ist an den Ampel-Parteien, das zu ändern. Ein Gastbeitrag von Frank Werneke.

Die nächste Bundesregierung steht vor großen Herausforderungen. Die Pariser Klimaziele können nur eingehalten werden, wenn die Energie-, Verkehrs- und Agrarwende beschleunigt wird. Gleichzeitig müssen die physische und soziale Infrastruktur, die Daseinsvorsorge und der Sozialstaat modernisiert werden. Im Gesundheits- und Bildungswesen, bei Digitalisierung, beim Wohnungsbau, in der öffentlichen Verwaltung sowie bei Sport und Kultur gibt es akuten Investitionsbedarf. Vom Personalmangel ganz zu schweigen.

Unser Land fährt auf Verschleiß. Seit über 15 Jahren sind die Abschreibungen der öffentlichen Hand höher als ihre Investitionen. Unsere Städte und Gemeinden haben einen Investitionsstau von fast 150 Milliarden Euro. Damit muss Schluss sein. Wir brauchen jetzt ein Jahrzehnt der Investitionen. Deswegen sollten in den nächsten zehn Jahren jährlich zusätzlich 50 Milliarden Euro investiert werden. In den Koalitionsverhandlungen müssen sich SPD, Grüne und FDP daran messen lassen, ob ihnen dies gelingt.

Die notwendigen Investitionen und Ausgaben dürfen nicht an leeren öffentlichen Kassen scheitern. Zusätzliche Investitionen sollten über Kredite, höhere Personal- und Sozialausgaben hingegen über Steuern und Abgaben finanziert werden. Schulden sind kein Teufelszeug. Kreditfinanzierte öffentliche Investitionen stärken die wirtschaftliche Entwicklung. Zudem sind die Zinsen auf Rekordtief. Diese günstigen Finanzierungsbedingungen sollten genutzt werden, um in die Zukunft zu investieren.

Eine solche Investitionsoffensive scheitert aktuell an der Schuldenbremse. Der Spielraum zur Kreditaufnahme ist zu klein, um die zusätzlichen Investitionen zu finanzieren. Und die Schuldenregeln werden Bund und Länder schon bald zwingen, ihre Corona-Kredite zu tilgen. Dadurch wird der ohnehin schon geringe Verschuldungsspielraum aufgefressen. In der Praxis entpuppt sich die Schuldenbremse als Investitions- und Zukunftsbremse.

Für eine grundlegende Reform der ökonomisch unsinnigen Schuldenregeln muss die Verfassung geändert werden. Dafür ist im Bundestag eine Zweidrittelmehrheit nötig, die ohne die Unionsparteien nicht zustande kommt. Da ist guter Rat teuer. Wenn aber der politische Wille vorhanden ist, dann finden sich Wege, um die notwendigen Investitionen trotz Schuldenbremse zu finanzieren.

Der Autor

Frank Werneke ist Vorsitzender der Gewerkschaft Verdi.

So haben die Ökonomen Marcel Fratzscher und Clemens Fuest vorgeschlagen, nächstes Jahr – 2022 ist die Schuldenbremse noch ausgesetzt – für 500 Milliarden Euro Kredite aufzunehmen, um eine Investitionsrücklage zu bilden. Alternativ könnte die Investitionsfähigkeit öffentlicher Unternehmen gestärkt werden, indem der Bund ihr Eigenkapital erhöht oder Mehrheitsbeteiligungen an Firmen erwirbt, die für die Infrastrukturmodernisierung strategisch wichtig sind.

Last but not least könnte die neue Regierung öffentliche Investitionsgesellschaften gründen. Wenn Letztere neue Sachaufgaben ausführen, fallen sie nicht unter das Regelwerk der Schuldenbremse. Diese Investitionsgesellschaften sollten sich im vollständigen unveräußerlichen Besitz des Bundes befinden. Dadurch wird der Einfluss privater Investoren eingeschränkt und die öffentliche Infrastruktur wird nicht teilprivatisiert.

Die Investitionsgesellschaften sollten politisch gesteuert werden und in Bildung, Gesundheit, Verkehrsinfrastruktur (insbesondere ÖPNV), Wohnungsbau und Energieversorgung investieren. Ein Transformationsrat, in welchem Gewerkschaften, Umwelt- und Sozialverbände mit Stimmrecht vertreten sind, könnte die Investitionsprojekte auswählen. Geschäftsmodelle, die aus öffentlicher und sozialer Infrastruktur nur Profite erzielen wollen (Public-private-Partnership, zu Deutsch: öffentlich-private Partnerschaft), sollten ausgeschlossen werden.

Der Bund müsste die Investitionsgesellschaften mit Eigenkapital ausstatten. Anschließend könnten sie eigene Anleihen ausgeben. Ein niedriger Garantiezins würde ausreichen, um das notwendige Kapital einzuwerben. Die Finanzierungskosten wären aufgrund der eingebauten Staatsgarantie nur geringfügig höher als eine direkte staatliche Kreditaufnahme.

Länder und Kommunen könnten die durch diese Investitionsgesellschaften errichteten Kitas, Schulen, Krankenhäuser, Wohnungen, Verwaltungsgebäude gegen die Zahlung der Finanzierungskosten und der ökonomischen Abschreibung der Investitionsgüter „leasen“. Folglich würden über Mieten, Nutzungsentgelte und Konzessionen wieder Einnahmen an die Investitionsgesellschaften zurückfließen.

Die neue Bundesregierung hat die Chance, ein Jahrzehnt der Investitionen einzuleiten. So kann der Kampf gegen den Klimawandel sowie die Modernisierung unserer Infrastruktur, der Daseinsvorsorge und des Sozialstaats gelingen. Dafür müssen die verantwortlichen Parteien ideologische Scheuklappen ablegen und politisch gestalten.

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