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Die Zinsen nicht erhöhen

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Von: Rasmus Andresen

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Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die aktuelle Lage  als „fossile Inflation“ bezeichnet.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die aktuelle Lage als „fossile Inflation“ bezeichnet. © dpa

Die EZB ist nicht dazu da, politisches Nichtstun zu korrigieren. Um die Preise zu senken, müssen wir die Probleme direktangehen. Der Gastbeitrag.

Krieg, Gasknappheit, Öl-Embargo. Die Energiepreise steigen und mit ihnen die Preise in anderen Bereichen. Alle bekommen es zu spüren – besonders aber haben einkommensschwache Haushalte zu kämpfen.

Es ist eine soziale Katastrophe für ganz Europa. Während die hohen Preise für viele Deutsche ein Problem sind, gilt dies für einkommensschwache Menschen in Südeuropa doppelt. Die aktuelle Entwicklung lässt noch mehr Menschen in Armut abrutschen. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die aktuelle Lage selbst als „fossile Inflation“ bezeichnet. Deshalb sind die Rufe nach einer Korrektur der Zinspolitik verfehlt. Eine straffere Geldpolitik wird die hohen Preise nicht senken, dagegen aber die Arbeitslosigkeit in weiten Teilen der EU ansteigen lassen. Die soziale Spaltung nähme dann zu und die politischen Konsequenzen wären kaum steuerbar.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde sollte dem Rufen nach Zinserhöhungen nicht nachgeben. Sie sind angesichts gestörter Lieferketten und zu hoher Energiepreise keine Antwort. Im Gegenteil, sie könnten die EU spalten, weil sie die Krise in vielen Staaten noch verstärken würden. Zu hohe Zinsen könnten Wachstum in einigen südeuropäischen Staaten abwürgen und die Länder in die Rezession stürzen. Zumal aufgrund der Pandemie und Schwierigkeiten mit den Lieferketten die Wirtschaftsprognosen gerade nach unten korrigiert werden. Restriktivere Geldpolitik kann dann sinnvoll sein, wenn die höheren Preise auf eine höhere Nachfrage zurückzuführen wären – wie es derzeit in den Vereinigten Staaten der Fall ist. Im Euroraum sind aber hauptsächlich die höheren Kosten der Energieversorgung für die Inflation verantwortlich.

Wir müssen das direkt angehen und die Energieabhängigkeit von russischem Gas und Öl bzw. von fossiler Energie grundsätzlich schnell und effizient beenden. Massive Investitionen in erneuerbare Energien und Maßnahmen zur Energieeffizienz sind das Gebot der Stunde. Sie müssen verbunden werden mit Umverteilungsmaßnahmen, zum Beispiel einem Entlastungspaket für Menschen mit wenig Einkommen. Nicht jeder Staat kann so umfangreiche soziale Ausgleichsmaßnahmen auf den Weg bringen wie die reiche Bundesrepublik. Finanzieren könnte man europäische Entlastungspakete mit einer Profit- oder Übergewinnsteuer, die die Gewinne von großen Konzernen während der Krise stärker besteuert, oder durch eine Finanztransaktionssteuer. Die Argumente gegen eine Anhebung der Zinssätze bedeuten aber nicht, dass die EZB mit ihren Investitionen nicht zum übergeordneten Ziel eines sauberen Energiemixes beitragen sollte. Der derzeitige Energiemix beeinträchtigt nicht nur die Fähigkeit der EZB, die Preise stabil zu halten, weil die aktuelle Inflation auf fossile Brennstoffe zurückzuführen ist. Instabilität droht zudem, weil physikalische Risiken wie Extremwetter oder Bodenerosion zum Beispiel in Form von Ernteausfällen, Wohnraumzerstörung oder gar -verlust zu einem anhaltenden und dramatischen Preisdruck führen werden, wenn wir den Klimawandel nicht aufhalten.

Die EZB sollte also rasch handeln, indem sie zunächst ihre gezielten, langfristigen Refinanzierungsgeschäfte umweltfreundlicher gestaltet und den Kauf von Vermögenswerten einstellt, die zum Klimawandel und zur Umweltzerstörung beitragen. Böse Stimmen behaupten, dass der grüne Wandel die Preise insgesamt weiter unter Druck setzt: Sie sprechen von „grüner Inflation“.

Probieren wir es mit einem Faktencheck: Die Grüne Transformation hat sich weitaus weniger auf die Endverbraucherpreise ausgewirkt als die „fossile Inflation“. Die Behauptung, dass die Ökologisierung unserer Volkswirtschaften für den schmerzhaften Anstieg der Energiepreise verantwortlich ist, ist also unzutreffend. Jetzt schon ist die Erzeugung erneuerbarer Energie deutlich günstiger als aus Kohle, Gas und Atomkraft. Wer die Erneuerbaren fördert, sorgt so auch für Preisstabilität.

Wir brauchen eine massive Mobilisierung von grünen Investitionen. Und ja, das kann kurzfristige Auswirkungen auf die Inflation haben. Es besteht jedoch ein erheblicher Unterschied zwischen einem Preisanstieg, der durch teurere Importe aus Russland verursacht wird, und den Auswirkungen, die die Mobilisierung von Ressourcen für die Energiesouveränität Europas hat.

Ersteres ist ein reiner Kostenfaktor, der mit einem sehr hohen geopolitischen Preis verbunden ist, nämlich der wirtschaftlichen Abhängigkeit von seinem Energielieferanten. Wenn Europa jedoch Geld in eine gut funktionierende grüne Energieinfrastruktur steckt, ist das eine Investition und stellt keine Kosten dar.

Rasmus Andresen ist Sprecher der Deutschen Grünen im Europäischen Parlament und Mitglied im Wirtschafts- und im Haushaltsausschuss. Er ist Berichterstatter für den EZB-Jahresbericht 2022.

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