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Die Unbeherrschbarkeit der Finanzmärkte

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Von: Rudolf Hickel

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Der Bankenlobby ist es vor allem in den USA gelungen, für kleine und mittlere Banken Mindestanforderungen ans Bankengeschäft abzusenken. Das trifft für die Silicon Valley Bank (SVB) zu.
Der Bankenlobby ist es vor allem in den USA gelungen, für kleine und mittlere Banken Mindestanforderungen ans Bankengeschäft abzusenken. Das trifft für die Silicon Valley Bank (SVB) zu. © Jeff Chiu/dpa

Das Bankensystem darf nur noch volkswirtschaftlich produktive Funktionen haben. Der Gastbeitrag.

Die machtvollen Finanzmärkte sind noch nicht beherrschbar. So lange dominante Großbanken mit Investmentbanking vor allem im Bereich verpackter Finanzmarktprodukte und unzureichender Kapitalpuffer die Finanzmärkte antreiben, bleibt auch das darin eingebettete Bankensystem krisenanfällig.

Die These von der Unbeherrschbarkeit zeigt der Rückblick auf die Ursachen der von Insolvenz bedrohten Bankinstitute. Andererseits fehlt der Wille, den Fundamental-umbau zu einem auf seine volkswirtschaftlich produktiven Funktionen ausgerichteten Bankensystem voranzutreiben. Die Zwangsehe der maroden Credit Suisse mit dem ehemaligen Erzfeind UBS zeigt, dass ein Bankenmonster für die Schweiz übrig bleibt. Damit wird das Systemrisiko so groß, dass für diese Schweizer „Nationalbank“ das „too big to fail“ gilt und damit im Falle der erforderlichen Rettung so ziemlich jeder Preis erpresst werden wird.

Sicherlich sind 2008 aus dem Beinahe-Absturz ausgelöst durch den Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers Lehren gezogen worden. Dazu gehören die Ächtung der Produktion von toxischen Finanzmarktprodukten wie die verpackten, nicht abgesicherten Forderungen zu sogenannten Wertpapieren, die Trennung zwischen Normal- und Investmentbanking sowie strengere Regeln für das Bankenmanagement.

Hervorzuheben sind auch Anpassungen bei den Kapitalpuffern gegen riskante Forderungen sowie die Schuldenbremse für Banken nach dem Regelsystem Basel III. Auch gibt es Ansätze, die nationale staatliche Aufsicht etwa in Deutschland durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), aber auch EU-Vereinbarungen zu stärken. Dieser Impetus als Reaktion auf die Erfahrungen der Finanzmarktkrise 2008/2009 hat aber nicht lange gewirkt. An den drei aktuellen Beispielen von Banken in der Krise lassen sich Defizite spezifizieren.

Der Bankenlobby ist es vor allem in den USA gelungen, für kleine und mittlere Banken Mindestanforderungen ans Bankengeschäft abzusenken. Das trifft für die Silicon Valley Bank (SVB) zu. Im akuten Krisenfall sind nur vier Prozent der Einlagen gesichert. Die US-Notenbank musste schnell zur Finanzierung der Einlagen das „Bank Term Funding Program“ nachlegen. Auch sind bei der SVB nicht angepasste Finanzierungsmodelle für Start-ups eingerichtet worden.

Grundsätzlich zeigen sich Defizite bei der Finanzaufsicht. So wurden die Insolvenzrisiken der am 3. Mai 2021 geschlossenen Greensill-Bank, zu deren Einleger über 50 Städte und Kommunen zählten, durch die BaFin viel zu spät erkannt. Die Greensill-Bank steht jedoch auch für eine mangelnde Kontrolle von nicht versicherten Finanzmarktprodukten. So wurde zusammen mit der Credit Suisse ein Investmentfonds auf der Basis von nicht gesicherten Krediten gehandelt. Schließlich hat mit ihrer Agenda: „Spione, Lügen, Kokaingeschäfte, Geldwäsche“ die Credit Suisse gegen die Regeln eines verantwortungsvollen Managements verstoßen.

Hier stellt sich die Frage, warum die Schweizerische Finanz-aufsicht auf die Skandale nicht reagiert hat. Der massenhafte Abzug von Einlagen, anfangs an einem Tag über elf Milliarden Franken, war vorprogrammiert.

Die drohende Insolvenz der SVB in den USA offenbart auch für die Banken im Eurosystem einen Negativeinfluss der Geldpolitik auf Banken. Als sich die SVB gegen den Abzug von Kundeneinlagen Liquidität durch den Verkauf ihrer Staatsanleihen besorgen wollte, war die Überraschung groß. Infolge der mehrfach angehobenen Leitzinsen der US-Notenbank sind die Marktwerte der Staatsanleihen im Portfolio der Bank gesunken.

Über die Belastung der Konjunktur durch teure Kredite hinaus mussten die Banken auch in Deutschland für ihre alten Staatsanleihen Kursverluste hinnehmen. Finanzmarktstabilität und Geldpolitik hängen also eng zusammen. Wann begreift das die EZB-Präsidentin Christine Lagarde, die jüngst diese Kollateralschäden bei der sechsten Zinserhöhung vernebelt hat.

Die Finanzmärkte entscheiden über die wirtschaftliche, aber auch politische Stabilität. Deren Krisenfolgen kann sich zum einen die weltweite Wirtschaft bis hin zu den privaten Haushalten nicht entziehen. Andererseits ist ihnen wegen der hochgradig riskanten Geschäfte ein tiefes Misstrauen sicher.

Die Folge ist eine Ansteckungsgefahr, die sich durch einen kleinen, negativ wahrgenommenen Impuls zum Flächenbrand ausweitet. Dagegen richtet sich die notwendige Fundamentalreform: Das Finanzmarktsystem mit seinen Banken im Zentrum muss auf die volkswirtschaftlich relevanten Funktionen zurückgeführt und stabilisiert werden.

Dazu gehört die Zerschlagung des Investmentbankings, also Spekulationsgeschäfte ohne ausreichende Risikoabsicherung. Dem Lehrsatz von Paul Krugman von 2009 kann zur Vermeidung der Finanzmarktkrise 2.0 zugestimmt werden: „Making Banking boring“ – Banking langweilig machen!

Rudolf Hickel ist Forschungsleiter am Institut Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen

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