Deutschlands Schulen zukunftsfähig machen

Schulleitungen haben zu wenig Zeit für ihre wichtigste Aufgabe: die Schulentwicklung. Sie müssen von Verwaltungsjobs entlastet werden, sagt GEW-Vorstandsmitglied Anja Bensinger-Stolze. Der Gastbeitrag.
Ganz besonders in den vergangenen zwei Jahren mussten die Schulen eine Menge leisten: Organisation des Distanz- und Präsenzunterrichts, immer neue Hygieneregeln und Unterrichtssettings umsetzen, die digitale Infrastruktur auf den neuesten Stand bringen, Schüler:innen sozial nicht alleine lassen, Ad-hoc-Konzepte für einen digital gestützten Unterricht anwenden, Eltern die neueste Teststrategie erläutern – die Liste ließe sich noch weiter fortführen.
Vieles war von heute auf morgen notwendig. Die Organisation lag in erster Linie bei den Schulleitungen. Schon vor der Pandemie waren deren Aufgaben und Verantwortung überbordend groß. Dabei sind die administrativen Aufgaben enorm gestiegen. Es bleibt viel zu wenig Zeit für die schulleitungsspezifischen Kernaufgaben wie Personalführung, Unterrichts- und Schulentwicklung oder Kommunikation mit Pädagog:innen, Eltern und Schüler:innen.
In der kürzlich vom Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) herausgegebenen Schulleitungsstudie „Schule zukunftsfähig machen“ wird der administrative Anteil der Schulleitungsaufgaben besonders deutlich: 67 Prozent der Schulleitungen nennen die digitale Ausstattung, 62 Prozent bauliche Themen, 58 Prozent die Digitalisierung des Unterrichts und 54 Prozent Personalgewinnung als die Bereiche, die sie am stärksten beschäftigten.
Schulleitungen machen deutlich, dass zu wenig Zeit bleibt, die Schul- und Unterrichtsentwicklung systematisch voranzutreiben. Sie müssen von administrativen Aufgaben entlastet werden. Als Bildungsgewerkschaft schlägt die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) deshalb eine professionelle IT-Unterstützung für die Schulen vor.
Genauso entscheidend ist eine gute personelle Ausstattung der Schulbüros. Ausreichende professionelle Unterstützung bei der Schulverwaltung entlastet Schulleitungen. Diese können sich dann den Fragen widmen, die Schule zukunftsfähig machen.
Welche Themen und Ziele für die Schulleitungen wichtig sind, wird ebenfalls sehr deutlich: Für 97 Prozent ist Chancengleichheit eine zentrale Aufgabe der Schule. Vier von fünf Schulleitungen sehen es als notwendig an, mehr Aufmerksamkeit auf die Verbesserung des Lernerfolgs der Schüler:innen zu legen und 88 Prozent sind der Meinung, dass Demokratie als Unterrichtsthema mehr Gewicht erhalten solle. Diese Stoßrichtung ist absolut richtig.
Immer noch ist der Bildungserfolg in Deutschland sehr stark von der Herkunft, vom Elternhaus abhängig. Wenn Schule die soziale Ungleichheit verringern soll, ist die individuelle Förderung der Kinder und Jugendlichen ein wesentlicher Baustein. Angesichts der Zunahme rassistischer, antisemitischer und rechtsextremer Tendenzen in der Gesellschaft sowie der Verbreitung von Verschwörungserzählungen ist eine stärkere Schwerpunktsetzung auf Demokratieerziehung und Politikunterricht in der Schule dringend notwendig.
Ausgesprochen spannend sind die Ergebnisse der Studie mit Blick auf die konkreten Umsetzungs- und Änderungsvorschläge der Schulleitungen, um diesen Zielen näher zu kommen: Es müsse „anders“ gelernt werden. Nicht der Fächerkanon, sondern interessegeleitetes und individualisiertes Lernen solle im Vordergrund stehen, sagen 82 Prozent der Schulleitungen. Themen, die einen Alltags- und Lebensbezug haben, müssen berücksichtigt werden. Das geht nach Ansicht von 51 Prozent der Schulleitungen am besten im projektorientierten Unterricht.
82 Prozent halten gebundene Ganztagsschulen für das richtige Instrument, das heißt der Tag in der Schule ist verbindlich und rhythmisiert: Lernen, Entspannung und Freizeit wechseln sich ab. Schule soll Lebensraum werden. Schule wird Sozialraum, ob im Dorf oder in der Stadt. Vereinssport, kulturelle und Angebote von Naturschutzvereinen etwa werden eingebunden.
Außerschulische Lernorte sollten zur Selbstverständlichkeit werden. Unterschiedliche Professionen – beispielsweise Erzieher:innen, Sozialpädagog:innen oder Psycholog:innen – bringen neue Ideen mit und sind für zwei von drei Schulleitungen ein wesentlicher Baustein, um die Schulentwicklung voran zu bringen.
Als Bildungsgewerkschaft begrüßen wir das Interesse der Schulleitungen an diesen Reformbestrebungen. Um die Ziele zu erreichen, benötigen die Schulen einen zukunftsorientierten Rahmen sowie mehr Verantwortung und Zeit. Richtschnur muss dabei die inklusive Schule sein, die allen Schüler:innen ein optimales Lernumfeld bietet.
Anja Bensinger-Stolze ist Vorstandsmitglied Schule der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).