Der Brandstifter-Effekt

Rassistische Diskurse liefern die Legitimation für rassistische Gewalt.
Aus Brandreden werden Brandsätze: Diese Plakate fehlten auf keiner Demonstration nach den mörderischen Brandanschlägen von Solingen 1993. Denn mit dem Mauerfall und der Wiedervereinigung hatte ein rassistischer Flächenbrand Fahrt aufgenommen, der von Politik und Medien gleichermaßen befeuert wurde.
Schon wenige Wochen nach dem ersten Pogrom im vereinigten Deutschland im sächsischen Hoyerswerda und dem tödlichen Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Saarlouis hatte der damalige CDU-Generalsekretär Volker Rühe in einem Brief alle Kreisverbände dazu aufgefordert, „in den Gemeinde- und Stadträten, den Kreistagen und in den Länderparlamenten die Asylpolitik zum Thema zu machen“.
Parallel dazu drängte die CDU die oppositionelle SPD zur Zustimmung für eine Änderung des Artikels 16 GG. „Wenn sich die SPD beim Kanzlergespräch am 27. Dezember verweigert, ist jeder Asylant nach diesem Tag ein SPD-Asylant,“ so Rühe in der Süddeutschen Zeitung im September 1991.
Während das Bundesamt für Verfassungsschutz für das Jahr der Wiedervereinigung noch vier rechtsextreme Brandanschläge pro Monat registrierte, stieg die Zahl der von den Sicherheitsbehörden dokumentierten Neonazi-Brandanschläge bis 1995 auf 1250. Mindestens 25 Menschen starben bei den Anschlägen, Hunderte überlebten teils schwer verletzt und für immer gezeichnet.
Die Bilder der Infrastruktur- und Verwaltungskrise bei der Unterbringung von einigen hunderttausend Kriegsflüchtlingen aus den Bürgerkriegen in Ex-Jugoslawien und von Roma, die vor den rassistischen Pogromen in den zerfallenden Staaten des ehemaligen Ostblocks nach Westen flohen, schufen die Grundlage für die bekannten Titelbilder und Überschriften mit dem Tenor „Das Boot ist voll“.
Offen nutzte die CDU-/FDP-Bundesregierung das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen im August 1992 und die nachfolgende Welle rassistischer Gewalt dazu, um die in der SPD bis dahin immer noch strittige de facto Abschaffung des Grundrechts auf Asyl am 26. Mai 1993 im Bundestag durchzusetzen. Der damalige SPD-Fraktionschef im nordrhein-westfälischen Landtag, Friedhelm Farthmann, hatte schon im Frühjahr 1992 erklärt: „Wir müssen unser Barmherzigkeitsgefühl einschränken und die akademische Debatte über den Artikel 16 beenden.“
Zur Person
Heike Kleffner ist Journalistin und Geschäftsführerin des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG e.V.)
Der mit jeder neuen Asyldebatte geschürte gewaltvolle Rassismus trifft unterschiedslos alle Menschen of Colour – unabhängig von Aufenthaltsstatus und Staatsbürgerschaft. Das wird auch in der neuen Welle rassistischer Brandanschläge und Asyldebatten ab 2015 deutlich, als Hunderttausende Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien, Irak und Afghanistan in Deutschland ankommen.
Anstatt die Infrastruktur- und Verwaltungskrise zu lösen, die bei der Integration der Zufluchtsuchenden unübersehbar ist, wird erneut auf Asylrechtsverschärfungen gesetzt. Parallel steigt die Zahl rechter Brandanschläge, die das BKA in den Jahren 2015 bis 2017 registriert, auf über 300.
Wieder sterben Menschen: In Döbeln (Sachsen) zündet eine 70-Jährige aus „Ausländerhass“ nach dem Einzug eines iranischen Asylbewerbers das eigene Mehrfamilienhaus an. Durch den Brand stirbt im März 2017 eine 85-Jährige Nachbarin. In Neunkirchen-Wiebelskirchen (Saarland) stirbt im April 2018 ein 38-Jähriger, als ein 28-Jähriger in ein unverschlossenes Wohnhaus mit syrischen Kriegsflüchtlingen eindringt und im Erdgeschoss einen Kinderwagen anzündet, „um es den Ausländern heimzuzahlen“.
Den Zusammenhang zwischen politischen Debatten und rassistischer Gewalt hat die an der Princeton University lehrende Politologin Rafaela Dancygier untersucht. Das Ergebnis ihrer Befragung unter 3000 Deutschen: Ein Fünftel aller Befragten hält rassistische Hasskriminalität für legitim. 15 Prozent der Befragten fanden rassistische Gewalt gegen Geflüchtete vertretbar, wenn dadurch weniger Flüchtlinge im Ort angesiedelt würden und um „Politikern klar zu machen, dass wir ein Flüchtlingsproblem haben“.
Im Unterschied zu den 1990er Jahren nehmen die Befürworter von rassistischer Hasskriminalität jetzt mit der Wahl von besonders radikalen AfD-Abgeordneten direkt Einfluss auf den politischen Diskurs in den Parlamenten und in den Kommunen. Die Stigmatisierung des Flüchtlingsabwehr-Diskurses, die mit dem geplanten „Asylkompromiss 2.0“ und der Verlagerung der Asylverfahren an die EU-Außengrenze einhergeht, so viel ist leider absehbar, wird weiteren rassistischen Gewalttätern als Legitimation für Mord und Totschlag dienen.
Christine Lagarde ist Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB ).