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Der Atomkrieg ist eine reale Gefahr

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Eines von fünf hergestellten Gehäusen für die Atombombe „Little Boy“, die am 6. August 1945 vom US-Bomber „Enola Gay“ als erste im Krieg eingesetzte Atombombe über Hiroshima abgeworfen wurde, ist im Imperial War Museum ausgestellt.
Eines von fünf hergestellten Gehäusen für die Atombombe „Little Boy“, die am 6. August 1945 vom US-Bomber „Enola Gay“ als erste im Krieg eingesetzte Atombombe über Hiroshima abgeworfen wurde, ist im Imperial War Museum ausgestellt. © Yui Mok/dpa

Was Deutschland jetzt für eine Welt ohne Nuklearwaffen tun sollte. Ein Gastbeitrag des Sprechers für atomare Abrüstung bei Greenpeace Deutschland.

Müsste man der internationalen Staatengemeinschaft ein Zeugnis für ihre Leistung hinsichtlich der atomaren Abrüstung ausstellen, so ließe sich nur noch mit viel Wohlwollen ein „Sie haben sich stets bemüht“ formulieren. Die Lage ist prekär: Die Doomsday Clock steht gegenwärtig 100 Sekunden vor zwölf – so nah war die Menschheit einem Atomkrieg noch nie. Statt abzurüsten, werden weltweit Milliarden für Atomwaffen ausgegeben. Vergessen scheinen die Opfer der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. Doch wir dürfen diese Gräuel nicht vergessen, denn Atomwaffen sind neben der Klimakrise die größte existenzielle Bedrohung der Menschheit.

Die ursprünglich für Januar geplante Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrags (NVV) ist wegen der Pandemie wiederholt verschoben worden – statt Austausch und Annäherung wachsen gegenseitige Entfremdung und daraus resultierend die alte Aufrüstungsspirale. 2022 ist der NVV nicht mehr als ein zahnloser Papiertiger. Der Grundgedanke, dass die Atomwaffenstaaten abrüsten und andere keine Atomwaffen bauen, hat nicht funktioniert. 122 Staaten haben in der UN-Generalversammlung 2017 den Atomwaffenverbotsvertrag beschlossen. Als Ergänzung zum Nichtverbreitungsvertrag wurde er als rechtlich bindendes Instrument geschaffen, mit dem atomare Abrüstung wirklich gelingen kann. Deutschland hat gegen ihn gestimmt, sich in der UN aber gleichzeitig vehement für eine atomwaffenfreie Welt ausgesprochen. Doch schöne Worte genügen nicht. Die wichtige Frage ist: Was kann die atomare Schwellenmacht Deutschland selbst tun, um einen konkreten Beitrag für eine Welt ohne Atomwaffen zu leisten?

Zunächst muss die neue Bundesregierung sich von der überholten Vorstellung abwenden, atomare Abschreckung würde für Sicherheit sorgen. Das Gegenteil ist der Fall: Atomwaffen machen die Welt unsicherer. Die Welt stand mehrfach vor Atomkriegen, sei es in eskalierten Situationen wie der Kubakrise oder „aus Versehen“ wie bei Fehlinterpretationen von Signalen. Deutschland hat Material und alle Fähigkeiten, Atomwaffen zu bauen, und beteiligt sich an der nuklearen Teilhabe: Laut Expert:innen lagern in Büchel rund 20 US-amerikanische Atombomben, die im Kriegsfall von deutschen Pilot:innen ins Ziel geflogen werden sollen. Deutschland macht sich dadurch selbst zum Aggressor und potenziellen Angriffsziel. Die geringe Reichweite der in Deutschland stationierten Atomwaffenträger gefährdet zudem die Sicherheit Europas – im Falle eines Krieges – und hier sieht die Nato Russland als möglichen Gegner – würden die Atombomber lediglich eine Reichweite bis nach Osteuropa haben. Dass Deutschland auf Befehl der USA Atombomben in Osteuropa abwerfen könnte, ist 77 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs unvorstellbar.

Noch in den vergangenen Jahren schien es, als hätten auch Politiker:innen von SPD und Grünen die Gefahr von Atomwaffen im Blick: Die heutige Außenministerin Annalena Baerbock sowie die SPD-Spitze um Fraktionschef Rolf Mützenich sprachen sich mehrfach für den Abzug der US-Atombomben aus Deutschland und das Ende der nuklearen Teilhabe aus. In Regierungsverantwortung ist davon nichts übrig geblieben. Stattdessen plant die neue Bundesregierung ein Milliardenpaket für atomwaffenfähige Kampfflugzeuge und lässt voraussichtlich die US-Atombomben in Büchel durch zielgenauere Bomben ersetzen. Diese Ausgaben sind angesichts einer von der Pandemie geplagten Wirtschaft unverantwortlich und stehen friedenspolitisch im krassen Gegensatz zu einer atomwaffenfreien Welt.

Information zum Autoren

Christoph von Lieven ist Sprecher für atomare Abrüstung bei Greenpeace Deutschland.

Doch noch ist es nicht zu spät, die Forderungen nach Abrüstung zu erfüllen. Anlässlich des Jahrestages des Inkrafttretens des Atomwaffenverbotsvertrags sollte die Bundesregierung folgende drei Schritte umsetzen:

1. Die Bundesregierung sollte dem Atomwaffenverbotsvertrag als Ergänzung zum Nichtverbreitungsvertrag beitreten.

2. Deutschland muss den Kauf eines atomwaffentragfähigen Tornado-Nachfolgers sowie das europäische Kampfflugzeugsystem FCAS stoppen.

3. Deutschland muss jeden möglichen Zugriff auf Atomwaffen ausschließen und ein Verbot für alle Lieferungen und Beteiligungen deutscher Firmen an Forschung, Entwicklung, Finanzierung und Produktion von Atomwaffen, Teilen davon oder Trägersystemen erlassen. Darunter fallen etwa VW-Motoren für französische Atom-U-Boote, die Beteiligung am Bau von Raketen durch Airbus und MBDA sowie Technik- und Know-how-Lieferanten wie Urenco.

Dass Deutschland die Teilnahme als Beobachter an der Vertragsstaatenkonferenz des Atomwaffenverbotsvertrags im März angekündigt hat, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Wenn Baerbock jedoch tatsächlich die im Koalitionsvertrag verkündete wertebasierte Außenpolitik vertreten möchte, muss sie der Forderung nach einer atomwaffenfreien Welt weitere konkrete politische Maßnahmen folgen lassen.

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