Daseinsvorsorge wird vor Ort gemacht

Die neue Regierung muss die Städte, Gemeinden und Landkreise mit finanzieller Hilfeunterstützen. Wie kann das aussehen? Ein Gastbeitrag von Oliver Rottmann und Mario Hesse.
Der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung enthält eine politische „Mischung“ aus sozialer, ökologischer und marktwirtschaftlicher Politik, die vielfältige Chancen für den Standort Deutschland bietet. Besonders in den Städten, Gemeinden und Landkreisen stellen sich jedoch gewaltige Herausforderungen. Zu nennen sind Digitalisierung, Energie- und Mobilitätswende oder schlicht ein Erhalt elementarer Versorgung durch öffentliche Infrastruktur (Daseinsvorsorge).
Dies bedingt zuvorderst stabile öffentliche Finanzen. Hier hat die Corona-Pandemie die kommunale Finanzlage deutlich geschwächt. So rechnen die Spitzenverbände aktuell mit sinkenden kommunalen Investitionen und steigenden Defiziten von sieben Milliarden Euro in diesem Jahr. Der pandemiebedingte Ein-bruch der kommunalen Steuereinnahmen liegt für die Jahre 2020 und 2021 bei rund 20 Milliarden Euro.
Noch 2020 haben Bund und Länder den Kommunen mit fast elf Milliarden Euro für ausgefallene Gewerbesteuereinnahmen geholfen, für 2021 ist allerdings keine Kompensation vorgesehen. Bis 2024 werden den Kommunen weitere knapp 20 Milliarden fehlen.
Hier muss die neue Bundesregierung ansetzen: Wie lässt sich die Finanzlage der Kommunen nachhaltig stärken, damit sie ihren umfangreichen Aufgaben für die Bürgerinnen und Bürger nachkommen können? Fragen, die sich nachhaltig nicht mit Bundes- und Landesförderprogrammen lösen lassen, sondern auch die Steuerverteilung zwischen den föderalen Ebenen betreffen.
Hier könnte eine höhere Beteiligung der Kommunen an der Umsatzsteuer die Lösung sein. Sie bildet ein flexibles Scharnier im Finanzgefüge und ist daher gut geeignet. Nicht zuletzt sollte ein Bürokratieabbau bei den Förder- und Planungsverfahren angegangen werden, damit deren Dauer deutlich verkürzt werden kann.
Hier äußert sich der Koalitionsvertrag – wie auch bei der forcierten Digitalisierung – bereits sehr positiv, indem er eine Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung vorsieht. Dass öf-fentliche Fördermittel „liegen bleiben“, während die Investitionsbedarfe steigen, wirkt oft absurd und ist frustrierend für alle Seiten.
Hierzu ist aber nicht nur eine Verschlankung der Förder- und Vergabeprozesse erforderlich. Die Frage ist auch, ob es für jeden Tatbestand ein neues Förderprogramm geben muss. Stattdessen kann viel von den Gemeinden vor Ort entschieden und gestaltet werden, wenn ausreichend (Steuer-)Mittel zur Verfügung stehen.
Eine besondere Kraftanstrengung der Kommunen liegt zudem in der Entwicklung der Daseinsvorsorge, also jener Leistungen, die für die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar wichtig sind und die der Markt nicht automatisch in hoher Qualität zu bezahlbaren Preisen anbietet. Zu nennen sind eine stabile Energieversorgung, sauberes Wasser, ein intakter ÖPNV, aber auch ein Zugang zu digitalen Diensten (Breitbandausbau). Eine starke Daseinsvorsorge hilft sowohl, die Menschen vor Ort mit notwendigen Infrastrukturleistungen zu versorgen, als auch, dynamische Städte und Regionen lebenswerter zu gestalten und Unternehmen anzuziehen.
Besonders auf der lokalen Ebene lassen sich wirtschaftliche Effizienz und Versorgungssicher-heit verbinden. Wenn der Markt versagt, beispielsweise weil ein ÖPNV-Angebot im ländlichen Raum kostenseitig nicht tragfähig ist, leistet die Daseinsvorsorge einen Beitrag zu gleichwertigen Lebensverhältnissen. Die EU-Liberalisierung Ende der 1990er hat hier bereits den Wettbewerb stärker betont. Zwar liegt die Verantwortung beim Staat, ob und wie eine Leistung angeboten werden soll. Die Umsetzung kann jedoch durch öffentliche oder private Unternehmen erfolgen. Damit kann im Einzelfall entschieden werden, welches Unternehmen die Leistung am besten erbringt.
Wettbewerb und Daseinsvorsorge schließen sich nicht aus. Wettbewerb kann vielmehr als ein Element guter Daseinsvorsorge betrachtet werden, um Qualität und hinreichende Leistungserbringung zu gewährleisten. Gerade wenn öffentliche Verwaltungen bereits „am Anschlag“ arbeiten, kann die Privatwirtschaft die Bereitstellung von Infrastruktur ohne den oft befürchteten Kontrollverlust übernehmen.
Es ist an der Zeit, dass die Politik tragfähige Ansätze entwickelt, den enormen Herausforde-rungen auf der kommunalen Ebene zu begegnen. Die neue Bundesregierung hat dies er-kannt. Sie könnte mit der Umsetzung des Koalitionsvertrages und weiterer stabilisierender Impulse die Weichen stellen, die kommunale Ebene zu stärken. Nur so entsteht eine nachhaltige Basis für lebenswerte und wirtschaftlich starke Kommunen.
Oliver Rottmann ist Geschäftsführender Vorstand des Kompetenzzentrums Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge sowie Co-Geschäftsführer des Kompetenzzentrums für kommmunale Infrastruktur (Komkis) Sachsen.
Mario Hesse ist Finanzwissenschaftler an der Universität Leipzig und Co-Geschäftsführer von Komkis.