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Das Außenministerium braucht eine Reform

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Von: Sarah Brockmeier

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„Bürokratiereform ist mühsam, kein Thema, mit dem man politisch was gewinnen kann“, schreibt Sarah Brockmeier im „Gastbeitrag“.
„Bürokratiereform ist mühsam, kein Thema, mit dem man politisch was gewinnen kann“, schreibt Sarah Brockmeier im „Gastbeitrag“. © Chris Emil Janssen via www.imago-images.de

Für eine neue Politik muss das Auswärtige Amt andere Prioritäten setzen. Ohne Druck aus Bundestag und Zivilgesellschaft wird das nichts. Der Gastbeitrag.

Von Belarus bis Äthiopien: Als neue Außenministerin wird Annalena Baerbock vom ersten Tag an von aktuellen Krisen gefordert sein. Auch der Koalitionsvertrag enthält ehrgeizige Ziele wie neue Abrüstungsinitiativen und eine „Klimaaußenpolitik“. Doch wenn Baerbock diese Herausforderungen wirklich angehen möchte, wenn sie eine neue, aktivere Außenpolitik will, braucht sie ein anderes Auswärtiges Amt. Denn das Ministerium, so formulierte es etwa der FDP-Außenpolitiker Graf Lambsdorff, „pfeift auf dem letzten Loch“.

Bürokratiereform ist mühsam, kein Thema, mit dem man politisch was gewinnen kann. Doch die Fähigkeit Deutschlands, sich vorausschauend gegen Krisen einzusetzen – globale Pandemien, Klimakrise, Krieg, Flucht – betrifft letztendlich jede Bürgerin und jeden Bürger in Deutschland. Und ob das gelingt, hängt nicht nur, aber auch davon ab, ob das Ministerium, aus dem dafür die Ideen kommen sollen, dafür aufgestellt ist.

Das ist es nicht. Die Zeit, in der Deutschland einfach nach Paris oder Washington schauen und umsetzen konnte, was andere vorschlagen, ist vorbei. Neue Initiativen müssten öfter aus Berlin kommen. Doch während zwischen 2010 und 2020 der Etat des Außenministeriums um 100 Prozent von drei auf sechs Milliarden stieg, wuchs die Anzahl der Planstellen – also der Leute, die sich darum kümmern müssten, das zusätzliche Geld sinnvoll einzusetzen – im gleichen Zeitraum um etwas unter 10 Prozent. Da fehlt es den Diplomat:innen jetzt genau an der Zeit, die es bräuchte für die neuen Ideen und Strategien. Viele können trotz zahlreicher Überstunden nur reagieren.

Doch die Frage, wo es mehr Personal braucht – und wo weniger – ist nicht das einzige Problem des Außenministeriums. Es müsste etwa den eigenen Diplomat:innen endlich erlauben, sich stärker zu spezialisieren: Wer zum Beispiel eine selbstbewusstere Haltung gegenüber China möchte, muss auch ermöglichen, dass deutlich mehr Diplomat:innen Chinesisch lernen und dieses Wissen in ihrer Karriere immer wieder anwenden können.

In Zeiten, in denen ein Putin Demokratien gezielt mit Desinformationen zu schwächen versucht und ein Diktator wie Lukaschenko die EU erpresst, macht es einen Unterschied, ob das Auswärtige Amt in der Lage ist, schnell und kreativ Desinformationen entgegenzutreten. Dafür ist es dann nicht egal, ob man die Strategische Kommunikation wie zurzeit in der Kulturabteilung versteckt oder sie an die Spitze des Ministeriums holt.

Bei Katastrophen wie dem Afghanistanabzug macht es einen Unterschied, ob es Möglichkeiten gibt, auch mal an der normalen Hierarchie vorbei Warnungen nach oben zu geben. Auch für die nächste Krise braucht es mehr Anreize für Kreativität und Teamwork statt hierarchischem Denken. Und wenn der fundamentale Mehrwert des Auswärtigen Amts das Wissen der eigenen Mitarbeiter:innen aus 230 Auslandsvertretungen und der Zentrale ist, dann braucht es auch endlich ein systematisches Wissensmanagement.

Die Liste ginge weiter. Viel stärkere Prioritätensetzung. Bessere Vereinbarkeit, mehr Diversität. Eine funktionierende IT. Dass all diese Reformen bisher nicht ausreichend umgesetzt wurden, ist kein Erkenntnisproblem. Schon der damalige Außenminister Joschka Fischer stieß im Jahr 2000 einen umfassenden Reformprozess an. Auch unter Frank-Walter Steinmeier gab es 2014 einen „Review“-Prozess, der auch interne Veränderungen anstieß. Doch in beiden Fällen scheiterten trotz zahlreicher Vorschläge der eigenen Diplomat:innen genau die Reformen, die die Kultur und Arbeitsweise des Ministeriums grundlegend verändert hätten. Das lag vor allem an Widerständen in der Führungsebene unterhalb der jeweiligen Außenminister.

Die Reformen wirklich anzugehen, wird daher zuallererst eine Ministerin erfordern, die sie mit deutlich längerem Atem als ihre Vorgänger vorantreibt. Aber auch der Bundestag muss politischen Druck erzeugen und Veränderungen finanziell ermöglichen. Und nicht zuletzt braucht es mehr Aufmerksamkeit von Fachleuten aus Wissenschaft, Think Tanks und Zivilgesellschaft. Gerade diejenigen, die von einer grünen Außenministerin nun mehr Krisenprävention oder neue Abrüstungsinitiativen erwarten, müssten sich stärker dafür interessieren, ob das Auswärtige Amt überhaupt dafür aufgestellt ist, diese Forderungen umzusetzen. Nur wenn politische Führung und Druck aus Bundestag und Zivilgesellschaft zusammenkommen, reden wir in 20 Jahren nicht immer noch von den gleichen überfälligen Reformen.

Sarah Brockmeier ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK).

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