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Bedürftigen Staaten Schulden erlassen

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Im Londonderry-Haus wurden am 27. Februar 1953 die Verträge zur Regelung der deutschen Auslandsschulden unterzeichnet.
Im Londonderry-Haus wurden am 27. Februar 1953 die Verträge zur Regelung der deutschen Auslandsschulden unterzeichnet. © dpa

Gläubiger haben Deutschland 1953 geholfen. Das Beispiel sollte Schule machen. Ein Gastbeitrag von Kristina Rehbein.

Am heutigen 27. Februar 2023 jährt sich zum siebzigsten Mal die Unterzeichnung des sogenannten Londoner Schuldenabkommens. Mit ihm wurde 1953 die damals junge Bundesrepublik Deutschland von ihren Vor- und Nachkriegsschulden entlastet.

Der US-amerikanische „Marshallplan“ zum Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft nach dem zweiten Weltkrieg ist weitgehend bekannt. Doch die Rolle des Schuldenerlasses, den das damalige Nachkriegsdeutschland von seinen Gläubigern erhielt, ist weit weniger im öffentlichen Bewusstsein.

Gläubiger waren hauptsächlich die West-Alliierten, allerdings auch einige Länder, die heute ihrerseits bei Deutschland verschuldet sind wie Griechenland und das damalige Ceylon (heutige Sri Lanka). Die Schuldenindikatoren Deutschlands zu dem Zeitpunkt, als das Abkommen geschlossen wurde, waren dabei deutlich niedriger, als die Indikatoren vieler kritisch verschuldeter Länder heute.

Das Londoner Schuldenabkommen war sehr weitreichend: Vorkriegsschulden, welche die Weimarer Republik zur Begleichung der Reparationen des Ersten Weltkriegs aufgenommen hatte, und Nachkriegsschulden aus der Wiederaufbauhilfe vor allem der USA summierten sich damals auf etwas mehr als 27 Milliarden Deutsche Mark (DM).

Rund 50 Prozent davon wurden gestrichen, der Rest langfristig und zu moderaten Zinsen umgeschuldet. Dazu kamen weitere Vergünstigungen, in deren Genuss seither kein verschuldeter Staat je wieder gekommen ist, die jedoch wesentlich zum Erfolg der Entschuldung beitrugen: Etwa die Klärung von Streitfragen zwischen Gläubiger und Schuldner durch ein eingerichtetes Schiedsgericht, statt durch alleinige Entscheidung der Gläubiger wie im heutigen „Pariser Club“. Oder die Möglichkeit, den Schuldendienst gegenüber einzelnen Gläubigern auszusetzen, wenn diese dem Schuldner keinen Handelsbilanzüberschuss ermöglichten.

Deutschland sollte seinen Schuldendienst nur aus der laufenden Wirtschaftstätigkeit und nicht etwas durch Rückgriff auf die zunächst noch spärlichen Devisenreserven aufbringen. Die Folgen für die deutsche Exportwirtschaft waren entsprechend: ein „Wirtschaftswunder“.

Kein Schuldnerland heute kommt in den Genuss ähnlicher Vorteile. Viel mehr herrschen zu geringe Schuldenerleichterungen vor, um den Gläubigern bloß nicht zu viel weh zu tun – mit der Konsequenz einer sich hinziehenden Schuldenfalle.

Das damalige Abkommen kann als Inspiration dienen für eine Lösung der mit der Covid-19-Pandemie, den Folgen des Klimawandels und den wirtschaftlichen Auswirkungen der russischen Invasion der Ukraine wieder dramatisch zugespitzten Schuldenkrise in Ländern des globalen Südens. Knapp vierzig Länder waren nach Berechnungen von erlassjahr.de schon 2022 überschuldungsgefährdet oder bereits im Zahlungsausfall.

Die fiskalische Handlungsunfähigkeit der Staaten, die aus nicht zeitnah gelösten Schuldenkrisen folgt, macht mühsam errungene Erfolge bei der Erreichung internationaler Entwicklungsziele zunichte. Die Folgen werden sich nicht nur auf die betroffenen Länder beschränken: die Überausbeutung natürlicher Ressourcen im Interesse des Schuldendienstes, Perspektivlosigkeit, welche Migration erzwingt, das Wegbrechen von Exportmärkten – solche „Schuldenbumerangs“ werden über kurz oder lang auch die heutigen Gläubigerländer erreichen, wenn Krisen nicht zeitig und nachhaltig entschärft werden.

Dies weiß auch die Bundesregierung: Im Koalitionsvertrag der Ampel steht das Ziel der Schaffung eines geordneten Staateninsolvenzverfahrens. Auch wenn das Londoner Schuldenabkommen keine Blaupause für heutige Schuldenrestrukturierungen ist, so enthielt das Abkommen Elemente, die auch Teil des Konzepts eines geordneten Staateninsolvenzverfahrens sein können oder schon laufende Umschuldungsverhandlungen inspirieren können.

Viel getan hat sich seit Amtsantritt der Bundesregierung in Richtung einer Initiative für ein internationales Staateninsolvenzverfahren jedoch noch nicht. Vielmehr verweist Berlin auf das Umschuldungsrahmenwerk der G20-Staaten, das sogenannte Common Framework. Seit dessen Entstehung im Jahr 2020 hat indes erst ein einziges Land, der Tschad, eine finale Vereinbarung unter dem Rahmenwerk getroffen. Schulden wurden dem Tschad jedoch nicht gestrichen.

1953 waren die damaligen Gläubiger Deutschlands klüger als die G20-Staaten heute: Sie wussten, dass auch sie selbst am Ende verlieren werden, wenn Schuldnerländer jenseits ihrer Leistungsfähigkeit belastet werden. Genau deswegen kam man sogar dem ehemaligen Kriegsgegner entgegen. Und der Mut wurde belohnt – nicht zuletzt durch Frieden und Wohlstand in Europa.

Kristina Rehbein ist politische Koordinatorin des bundesweiten Entschuldungsbündnisses erlassjahr.de.

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