Mit Empathie und Intelligenz: Für einen Paradigmenwechsel in der Asylpolitik

Die Zunahme von Gewalt und Hetze gegen Geflüchtete in Deutschland zeigt: Asylpolitik muss sich ganz grundlegend ändern hierzulande. Der Gastbeitrag von Deborah Schnabel.
Seit Monaten dominiert ein Thema in Deutschland den Diskurs über Asylpolitik: der Mangel an Unterbringungsmöglichkeiten. Dahinter liegt ein Kampf um eine begehrte Ressource: sozialer Wohnraum. Ein lang verschlepptes Problem der Sozialpolitik, das nun eigentlich nicht mehr ausgesessen werden dürfte. Die Kommunen meldeten jetzt einmal mehr zurück, wie überlastet und erschöpft sie seien. Es geht um Geld. Vor allem braucht es aber flexible und schnelle Lösungen. Vergangene Asylgipfel produzierten maximal Reförmchen. Meistens endeten sie aber in einer Sackgasse, denn der Bund bewegt sich kaum. Erst im Mai soll Bundeskanzler Scholz an einem weiteren Treffen teilnehmen. Die Monate verstreichen und schon längst hat dieser Zustand Tür und Tor für rechtspopulistische Ressentiments geöffnet, die bis weit in die deutsche Mitte reichen. Was macht das mit dem Bild, das sich in der Gesellschaft über Flucht und Flüchtlinge verfestigt?
In der öffentlichen Debatte arbeitet man sich so sehr an den Hürden und negativen Konsequenzen der Aufnahme von Geflüchteten ab, dass selbst tragische Nachrichten wie die von 70 Toten im Mittelmeer kein Mitgefühl mehr auslösen. Krankt sie also, die Empathiefähigkeit der deutschen Gesellschaft? Dass sie empathisch sein kann, hat sie doch 2022 bewiesen. Meinungsbestimmend waren die Solidarität und der Tatendrang gegenüber ukrainischen Geflüchteten. Und auch die Politik hatte eine Reihe pragmatischer, schneller und kreativer Lösungen im Gepäck. Etwa den „vorübergehenden Schutz“, über den geflüchtete Ukrainer:innen ohne kompliziertes Asylverfahren bleiben und arbeiten dürfen. Selbst die Wohnsitzauflage, die dafür kritisiert wird, Unterbringung und Integration zu erschweren, wurde für ukrainische Geflüchtete ausgesetzt: Sie können ihren Wohnraum selbst wählen, bei Freunden oder Verwandten unterkommen. In kürzester Zeit wurde so mehr als einer Million Geflüchteten aus der Ukraine würdiger Schutz und ein Willkommen geboten, das den Namen verdient: eines auf Augenhöhe. Das Zusammenspiel aus medialer Aufmerksamkeit, zivilgesellschaftlichem Engagement und schnellen politischen Entscheidungen machten es möglich. Geht doch!, applaudierten Menschenrechtsorganisationen. Und die Bundesintegrationsbeauftragte freute sich über eine „Blaupause für unsere Migrations- und Integrationspolitik“.
Das universelle Menschenrecht auf Asyl ist in Frage gestellt
Doch darauf folgte nichts. Das ist fahrlässig, denn die Anzahl der Menschen, die in Deutschland Asyl beantragen, steigt weiter an. Neben neuen Fluchtbewegungen, die sich etwa durch die Protestbewegung im Iran oder die Erdbeben in der Türkei und Syrien ergeben, fliehen Menschen aufgrund von Krieg oder Unterdrückung weiterhin aus Syrien, Afghanistan, Irak oder Eritrea.

Wenn pragmatische Lösungen, innovative Asylpolitik und kollektive Empathie zu einem Privileg werden, das nur bestimmten Geflüchteten zuteil wird, bedeutet das nichts Geringeres, als dass das universelle Menschenrecht auf Asyl in Frage gestellt wird – ein optimaler Nährboden für populistische Ressentiments und Stereotype.
Es braucht einen Paradigmenwechsel in der Asylpolitik
Mit drastischen Konsequenzen: Die Angriffe auf geflüchtete Menschen und ihre Unterkünfte sind zuletzt wieder angestiegen – und zwar deutlich: 2022 gab es laut vorläufigen Angaben des Bundesinnenministeriums 121 Überfälle, Anschläge, Sachbeschädigungen und tätliche Angriffe – ein Plus von 73 Prozent im Vergleich zu 2021. Wieder mischen Rechtsextreme bei Protesten mit, mobilisieren über die Sozialen Medien, wodurch extrem rechte Positionen Anschluss in die breite Gesellschaft finden.
Dieser Entwicklung darf weder die Politik noch die Gesellschaft gleichgültig zuschauen.
Es braucht einen Paradigmenwechsel in der Asylpolitik – lösungsorientiert, bedarfsgerecht, empathisch. Flankiert von politischer Bildung, die Menschen befähigt, mit komplexen gesellschaftspolitischen Verhältnissen umzugehen, ohne Schuldige bei den vermeintlichen Fremden zu suchen – und die Geflüchtete selbst stärker in den Diskurs einbezieht, denn dieser findet aktuell ohne ihre Perspektive statt.
Die Frage „Wie schaffen wir das?“ wird einfach ausgesessen
Und wir brauchen eine begleitende politische Kommunikation, die dem Thema Sprengkraft nimmt. Nach Merkels „Wir schaffen das!“ äußerte sich kein einziger deutscher Politiker mehr optimistisch oder wohlwollend zum Thema. Die Frage „Wie schaffen wir das?“ wird einfach ausgesessen. Als hoffte man, dass sich das Ganze von selbst erledigt. Das wäre nicht nur naiv, sondern verantwortungslos. Flucht ist wie der Klimawandel – ein Phänomen unserer Zeit.
Deborah Schnabel (37) ist Direktorin der Bildungsstätte Anne Frank. Sie promovierte zu interkultureller Kompetenz und ist Expertin für digitale Bildung gegen Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung.