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Afrika ist ein Labor des Finanzkapitalismus

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Von: Fabio de Masi

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Die Zahlungstechnologie M-Pesa hat das Telekommunikationsunternehmen Safaricom zu einem der profitabelsten Konzernen Afrikas gemacht.
Die Zahlungstechnologie M-Pesa hat das Telekommunikationsunternehmen Safaricom zu einem der profitabelsten Konzernen Afrikas gemacht. © Imago

Online-Anbieter ersetzen Banken. Doch zu viele treiben über hohe Zinsen Menschen in die Schuldenfalle. Der Gastbeitrag.

Etwa 1,4 Milliarden Menschen gelten als „underbanked“, da sie wegen unregelmäßiger Einkommen über keine Bankkonten verfügen. Etwa 60 Prozent von ihnen leben in Afrika. Dies ist eine Goldgrube für Finanzunternehmen, die mit Datentechnologie arbeiten (Fintechs).

Afrikanische Staaten wie Ägypten, Südafrika, Nigeria oder Kenia verwandeln sich durch den Ausbau der Daten- und Mobilfunkinfrastruktur in ein Labor des Datenkapitalismus. Nirgendwo ist der Anteil der Bevölkerung mit mobilen Geldbörsen auf dem Handy höher als in Afrika. Auch Millionen Menschen, die über keine Sicherheiten verfügen, können mit einfachen Mobiltelefonen zu einer Quelle enormer Profite werden. Schließlich erlauben etwa Käufe von Prepaid-Guthaben Rückschlüsse auf die Kreditwürdigkeit.

Bereits heute entscheiden Kriterien wie die Geschwindigkeit, mit der wir über einen Text im Internet „scrollen“ und somit vermeintlich Information verarbeiten, darüber, wie Finanzkonzerne unsere Leistungsfähigkeit einschätzen. So erheben in Afrika Fintechs wie Jumo Daten über das Fahrverhalten von Uber-Beschäftigten, um daraus die Kreditwürdigkeit abzuleiten.

Die Zahlungstechnologie M-Pesa hat das Telekommunikationsunternehmen Safaricom zu einem der profitabelsten Konzernen Afrikas gemacht. M-Pesa ist aus dem informellen Kreditsystem in Afrika entstanden, klammen Angehörigen, Freundinnen und Freunden, Telefonguthaben per SMS zu übermitteln.

M-Pesa wurde von der britischen Behörde für Entwicklungszusammenarbeit mit dem kenianischen Mobilfunkkonzern Safaricom und der britischen Vodafone entwickelt. Fachleute kritisieren, dass M-Pesa über hohe Zinsen Menschen in die Schuldenfalle treibe, der lokalen Ökonomie Kaufkraft entziehe und diese an die internationalen Aktionäre verteile. M-Pesa verkauft zunehmend auch den Zugang zu öffentlichen Gütern wie medizinischer Versorgung oder sauberem Trinkwasser.

Der Aufstieg der Fintechs beeinflusst auch entwicklungspolitische Debatten. So preist die Better than Cash Alliance, zu deren Netzwerk die Regierung Kenias wie das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UN), Coca-Cola oder H&M gehören, die Vorzüge des digitalen Bezahlens für die Ärmsten an. Eine Studie von US-Ökonomen, die Financial Sector Deepening Kenya und Gates-Stiftung finanzierten, behauptete, dass M-Pesa rund zwei Prozent der Bevölkerung Kenias, aus der Armut geholt habe.

Die Studie wurde jedoch wegen erheblicher methodischer Mängel kritisiert. Auch der Mikrokredit-Boom, der vor einigen Jahren noch als Instrument zur Bekämpfung der Armut angepriesen wurde, mündete in Ländern wie Südafrika in Überschuldung privater Haushalte. Banken hielten sich daran schadlos, da sie ermächtigt wurden, Kreditraten direkt vom Lohn der Schuldnerinnen und Schuldnern einzuziehen.

Ein Schlüssel der Entwicklungsfinanzierung sind Kredite, die etwa Investitionen ermöglichen, mit denen Landwirtschaft produktiver wird. Der Großteil der Kredite, die Fintechs vermitteln, sind jedoch wie bei den Mikrokrediten Darlehen für Konsumentinnen und Konsumenten. Dabei werden zunehmend die Auswüchse von privater Verschuldung durch Wucherzinsen sowie „debt shaming“ sichtbar. Dabei werden die Kontakte im Telefonbuch säumiger Schuldnerinnen und Schuldner durch Fintechs angeschrieben, um diese anzuprangern.

Da viele Fintechs schlechter reguliert sind als Banken und häufig bereits eine Telefonnummer reicht, um Finanzgeschäfte zu tätigen, könnten diese zukünftig Kapitalflucht aus Schwachwährungsländern begünstigen. In Brasilien gibt es jedoch erste positive Erfahrungen mit öffentlichen Fintechs kommunaler Banken, die nicht Investoren bereichern, sondern die lokale Wirtschaft unterstützen und den Ärmsten Geldgeschäfte ohne exorbitante Gebühren ermöglichen.

Damit der Fintech-Boom in Afrika nicht mit einem bösen Erwachen endet, sollten auch dort Zentralbanken Technologien für mobiles Bezahlen entwickeln, die ein höheres Datenschutzniveau ermöglichen und Verschuldungsspiralen unterbinden. Auch die Bargeldversorgung muss gewährleistet bleiben, um die Abhängigkeit armer Menschen von Finanzunternehmen und ihren Gebühren nicht zu erhöhen.

In Nigeria, wo der Präsident kürzlich versuchte, bestimmte Bargeldsorten über Nacht aus dem Verkehr zu ziehen mit der Begründung, Fälschungen zu bekämpfen, kam es zu politischen Tumulten, da viele ärmere Menschen weiter Cash benötigen. Der digitale E-Naira der Zentralbank wird bisher kaum genutzt.

Fabio De Masi ist Research Fellow am Financial Innovation Hub der Universität Kapstadt (Südafrika). Dieser Beitrag geht auf die Studie „When Finance Meets Big Data: Financial Technology and the scramble for Africa“ im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung zurück.

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