In unserem Nachbarland ist Abtreibung nur noch nach einer Vergewaltigung erlaubt (die Frauen in einem zweifelsohne demütigenden Verfahren glaubhaft machen müssen) – oder wenn das Leben der Mutter gefährdet ist. Aber die Untersuchung des EU-Parlaments bestätigt, was zu erwarten war: Offensichtlich hat eine massiv frauenfeindliche Stimmungsmache und Gesetzgebung dazu geführt, dass selbst bei akuter Gefahr Ärztinnen und Ärzte oder auch Betroffene es nicht wagen, den Eingriff vorzunehmen oder vornehmen zu lassen.
Polen ist nicht allein, wie wir wissen. In Italien fürchten viele Frauen nach dem Wahlsieg der Postfaschistin Giorgia Meloni Ähnliches, in den USA haben Donald Trump und der reaktionär besetzte Gerichtshof bereits ganze Arbeit geleistet.
Aber es gibt auch Zeichen der Hoffnung: Bei den Zwischenwahlen in den USA war die Abtreibungsfrage neben wirtschaftlichen Problemen der wichtigste Streitpunkt, und offensichtlich hat das dazu beigetragen, dem Trumpismus die Grenzen aufzuzeigen.
Und Europa? Es bleibt dabei: Wenn die EU das Bollwerk der Freiheit sein will, das zu sein sie vorgibt, dann sollte sie aufhören, den Weg der Unterdrückung in der eigenen Mitgliedschaft zu dulden.
Kürzlich hatte ich mich mit einer Bemerkung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beschäftigt: Er hatte „unsere Demokratie“ neben Dingen wie Bahn, Internet oder Energieversorgung der „kritischen Infrastruktur“ zugeordnet.
FR-Leser Eckart Premer teilt meine Einschätzung, dass es fragwürdig ist, die Demokratie rhetorisch wie eine Branche neben anderen zu behandeln, so wichtig die auch sind. Er zählt Beispiele dafür auf, dass der Vorrang der Demokratie häufig missachtet wurde: Helmut Kohl habe sein „Ehrenwort“ beim Thema illegale Parteispenden über das Allgemeinwohl gestellt. Gerhard Schröder habe seine Rolle in der Demokratie „zur Männerfreundschaft mit einem ,lupenreinen Demokraten‘“ genutzt, und Angela Merkel habe sich als „Erfinderin einer ,marktkonformen‘ Demokratie“ hervorgetan.
Lieber Herr Premer, ich stimme Ihnen zu, eine Anmerkung habe ich nur zu Ihrem folgenden Satz: „Der mündige Bürger gibt alle vier oder fünf Jahre seine Stimme (an der Garderobe?) ab und hat nichts mehr zu sagen.“ Wir sind wir uns sicher einig, aber ich sage es trotzdem nochmal: Wer Demokratie will, darf sich genau damit nicht begnügen. In Deutschland sind die Freiräume für politisches Engagement im Weltvergleich noch ziemlich groß. Das macht es fast schon zur Pflicht, die eigene Stimme auch zwischen den Wahlen zu erheben. Und sei es „nur“ in einem Leserbrief.