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Für Europas grünes Wirtschaftswunder

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Sehen zukünftig vielleicht einige Dächer öffentlicher Gebäude in Bad Homburg so aus? Die Kurstadt hat das Ziel, bis 2030 klimaneutral zu werden. imago
Schon bald werden Milliarden von Solaranlagen und Millionen von Windrädern, Wärmepumpen und Wasserstoff-Elektrolyseuren unser Energiesystem prägen. © Imago

Die EU muss liefern: Dringlich ist eine Industriepolitik, die grüne Technik zum Standard macht – und auch sozial ist. Ein Gastbeitrag von Michael Bloss und Felix Banaszak.

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die daraus folgende Energiekrise haben die Notwendigkeit der Transformation der Wirtschaft weg von fossilen Abhängigkeiten und klimaschädlichen Emissionen verschärft. Weil aber die vielen Krisen so komplex scheinen, ist die Unsicherheit groß. Die bisher ergriffenen Maßnahmen gegen die Klimakrise sind offensichtlich unzureichend. Der Weg zur Klimaneutralität muss ambitioniert sein und gleichzeitig industrielle Wertschöpfung und Beschäftigung erhalten, um gesellschaftliche Akzeptanz zu finden. Viele fragen sich: Wird mein Job in Zukunft noch existieren oder finde ich, wenn nicht, einen neuen? Wie wir die grüne Transformation gestalten, wird entscheiden, ob sie Chance oder Gefahr ist.

Ambitionierter Klimaschutz ist zentrale Bedingung für unseren künftigen Wohlstand. Dafür brauchen wir eine aktive europäische Industriepolitik, die kluge Regeln für gezielte, klimafreundliche Investitionen setzt, um die Industrie modern, wettbewerbsfähig und umweltverträglich zu machen.

Der globale Wettbewerb in diesem Bereich ist bereits in vollem Gange. China und die USA sind uns um Längen voraus, Europa droht zurückzufallen. Der 370 Milliarden Dollar schwere Inflation Reduction Act macht Investitionen in grüne Technologien zum neuen Standard. Europa braucht darauf dringend eine Antwort.

Die EU-Kommission legt einen Plan für eine grüne Industriepolitik vor

Die EU-Kommission wird nun zum ersten Mal eine eigene, eine grüne Industriepolitik formulieren. Das ist gut, denn schon bald werden Milliarden von Solaranlagen und Millionen von Windrädern, Wärmepumpen und Wasserstoff-Elektrolyseuren unser Energiesystem prägen. Wir müssen dafür sorgen, dass diese in Europa produziert werden, denn die Energiewende ist der zentrale Faktor im globalen Technologie-Wettlauf. Durch die europäische Produktion machen wir uns unabhängiger von autoritären Staaten und schaffen Millionen von Arbeitsplätzen. Hier müssen die Klima-Industrien prosperieren für die industrielle Wertschöpfung der Zukunft.

Statt mit der Gießkanne zu subventionieren, sollten wir drei Dinge tun: die Dekarbonisierung der CO2-intensiven Grundstoffindustrien vorantreiben, die Kreislaufwirtschaft fördern und die Klima-Industrien hier ansiedeln, also die europäische Fertigung von allen Bestandteilen eines erneuerbaren Energiesystems vorantreiben. Solarzellen, Elektrolyseure und Wärmepumpen made in Europe: Das ist – verbunden mit einer daran angepassten Rohstoffstrategie – eine starke Politik für Klimaschutz und Resilienz.

Leider ist die europäische Förderlandschaft zerklüftet und schwer durchschaubar. Anträge auf Förderung zu stellen, ist kostspielig, und die Bewilligung dauert. Eine ungesteuerte Flexibilisierung der Beihilferegeln könnte aber die wirtschaftlichen Ungleichgewichte in der EU vertiefen. Schon jetzt profitieren Deutschland und Frankreich überproportional von den Möglichkeiten, ihre Industrien zu subventionieren. Deshalb sollte ein EU-Transformationsfonds eingerichtet werden, der die Förderung bündelt und einfache Verfahren vorsieht, um innereuropäisches Rennen um Staatshilfen zu vermeiden.

Grüne Industriepolitik für die EU muss auch Arbeitsplätze im Blick haben

Was vielen nicht bekannt ist: Die Industrieförderung in den USA ist an klare soziale Bedingungen geknüpft, also: Ausbildungen anbieten, Gewerkschaften zulassen, faire Löhne zahlen. Auch für Europa muss gelten: Die gerechte Transformation geht nur mit den Beschäftigten, nicht gegen sie.

Dazu passt eine Förderpolitik, die nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie im Auge hat, sondern auch soziale und ökologische Aspekte berücksichtigt. In der EU produzierte Güter sollten ein Beispiel für emissionsarme, ressourcenschonende und kreislaufförmige Herstellung sein. Dazu gehören hohe Qualitätsstandards wie Recyclingquoten und Quoten für grünen Stahl bei Produkten, die in der EU gefördert werden.

In den Debatten um den Kohleausstieg spielte die Perspektive der davon betroffenen Beschäftigten zu Recht eine große Rolle. Weitgehend unbemerkt sind aber in den 2010er Jahren um die 60 000 Jobs in der Solarindustrie verloren gegangen, weil unionsgeführte Bundesregierungen die Förderung der Erneuerbaren aktiv gebremst haben. Dass Arbeitsplätze in Branchen, die keine Zukunft haben, wegfallen, ist schmerzhaft. Wenn aber Jobs in Zukunftsindustrien verloren gehen, ist das unverzeihlich. Wir müssen aus den Fehlern lernen – für das Klima und für den sozialen Zusammenhalt in der Transformation.

Michael Bloss sitzt für die Grünen im Europäischen Parlament sowie im Umweltausschuss und Industrie- und Energieausschuss.

Felix Banaszak ist Grünen- Bundestagsabgeordneter und Experte für Industriepolitik und Energiewirtschaft.

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