1. Startseite
  2. Meinung

Friedrich Merz in der Rolle des „Maaßen light“

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Stephan Hebel

Kommentare

Die „gutbürgerliche Variante“ der rechten Denkfigur: Friedrich Merz. Imago Images (3)
Die „gutbürgerliche Variante“ der rechten Denkfigur: Friedrich Merz. © IMAGO/Chris Emil Janßen

CDU-Chef Merz ist dem rechtsaußen verorteten Ex-Präsidenten des Verfassungsschutzes in seinem politischen Kern viel ähnlicher, als er zugeben will.

1Friedrich Merz muss es wissen, er kennt sich mit rechten Umtrieben aus: „Das Maß ist voll“, hat der CDU-Vorsitzende vor einer Woche verkündet, als es um Noch-Parteimitglied Hans-Georg Maaßen ging. Austritt oder Ausschluss, so der Beschluss des Präsidiums.

Das klingt nach klarer Kante gegenüber einem reaktionären Verschwörungserzähler, der bei seinem Kreuzzug gegen Antirassismus, Feminismus und jeden Ansatz einer liberalen Migrationspolitik gezielt die Sprache der extremen Rechten spricht. Es klingt nach dem entschlossenen Versuch, sich gegen ein Verständnis von konservativer Politik abzugrenzen, das die Unterschiede zur AfD verwischt und deshalb zum ständigen Ärgernis geworden ist.

Niemand hat bisher behauptet, der Vorsitzende Merz habe an diesem Vorgang seine Freude. Aber warum eigentlich nicht? Sicher, er ist für die Partei ziemlich lästig. Aber der Fall Maaßen lässt sich auch als willkommene Chance für den Parteichef interpretieren: Er könnte sie nutzen, um den Kritikerinnen und Kritikern seines eigenen, stramm rechten Kurses den Wind aus den Segeln zu nehmen und sich als Mann der Mitte zu verkaufen. Wie soll denn rechts sein, so könnte die Botschaft lauten, wer sich so tapfer gegen einen Rechten wehrt?

Maaßen glaubt in die AfD-Klientel vorstoßen zu können

Sollte es Merz und seiner Gefolgschaft gelingen, diesen Eindruck zu erwecken, käme das einer mutwillig herbeigeführten optischen Täuschung gleich. Denn im politischen Kern – wenn auch nicht in der Sprache – ist der CDU-Vorsitzende dem ehemaligen Präsidenten des Verfassungsschutzes viel ähnlicher, als er zugeben will.

Der Unterschied ist eher strategischer als inhaltlicher Natur: Maaßen glaubt in die AfD-Klientel vorstoßen zu können, indem er sich selbst der offenen Ressentiment-Rhetorik bedient. Merz dagegen versucht die Signale nach ganz rechts so dosiert zu setzen, dass sie mit der Aura gutbürgerlichen Anstands noch vereinbar bleiben und den liberaleren Teil der Partei nicht zu sehr erschrecken. Seht her, so sein Signal nach rechts, auch wir bedienen eure Wut aufs Gendern, auf Antirassismus, „Wokeness“ und Migration. Aber wir tun das immer so, dass wir uns (und euch) weiter als Teil des demokratischen Spektrums verkaufen können.

Auf den ersten Blick mag es irritierend erscheinen, wenn von Ähnlichkeiten zwischen der Ideologie des Rechtsaußen Maaßen und dem Denken eines Mannes die Rede ist, der einer großen „Volkspartei der Mitte“ vorsteht. Zumal jetzt, da Friedrich Merz Entschiedenheit und Härte gegen Maaßen demonstriert. Aber genau darin liegt das Problem: Womöglich gelingt es tatsächlich, die Avancen des CDU-Chefs nach ganz rechts am Ende als harmlos erscheinen zu lassen, weil er die Abgrenzung zur plump-provozierenden Variante dieser Politik erfolgreich zelebriert.

Was hat es also auf sich mit den ideologischen Gemeinsamkeiten zwischen Maaßen und Merz? Und, das ist eine selbstkritische Frage an die liberalen Kräfte im Land: Warum stößt diese rechte Ideologie womöglich auf fruchtbaren Boden?

Die Serie

FR-Autor Stephan Hebel kommentiert an dieser Stelle alle 14 Tage aktuelle politische Ereignisse. Wenn Sie Kritik, Lob oder Themenhinweise haben, schreiben Sie an stephan.hebel@fr.de. Bitte merken Sie dabei auch an, ob Sie mit einer Veröffentlichung einverstanden wären.

Live erleben können Sie den Autor bei „Hebels aktueller Stunde“ am Donnerstag, 30. März, 19 Uhr, Club Voltaire, Kleine Hochstraße 5 in Frankfurt, www.club-voltaire.de, Livestream: www.fr.de/hebelsstunde

Deutschland, so hat es der ehemalige Verfassungsschutz-Chef Maaßen verkündet, leide unter „grün-woker Dominanz“, verbunden mit einem „eliminatorischen Rassismus gegen Weiße“. Das ist die klassisch-rechte Denkfigur, mit der die realen Machtverhältnisse verschleiert oder gar umgekehrt werden: Nicht das Versagen der politisch vorherrschenden Kräfte in den vergangenen Jahrzehnten ist das Problem – nicht der unterlassene Kampf gegen die Klimakatastrophe, nicht die fortgesetzte Benachteiligung von Frauen in vielen Bereichen, nicht der lange geduldete Rassismus selbst in Sicherheitsbehörden –, sondern die angebliche Übermacht derjenigen, die all das nur erfinden, um die Menschen „umzuerziehen“. Mit anderen Worten: Wer befürchtet, in Zeiten des krisenhaften Wandels den Boden unter den Füßen zu verlieren, darf sich als Opfer einer herrschenden Kaste fühlen, die den „normalen Leuten“ das Autofahren verbieten, das Gendern vorschreiben und Toleranz gegen zugewanderte Randalierer aufzwingen will.

Die „gutbürgerliche Variante“ dieser Denkfigur, wie Friedrich Merz sie bevorzugt, klingt gar nicht so anders. Es war ja kein Versehen, dass er nach den Silvesterkrawallen von „kleinen Paschas“ sprach, die sozusagen erst der Grundschullehrerin und später dann der Feuerwehr nach Belieben auf der Nase herumtanzen. Und was bei Maaßen der Aufstand gegen „grün-woke Dominanz“ heißt, ist beim wichtigsten Merz-Berater Andreas Rödder der angeblich notwendige „Kulturkampf gegen linke Identitätspolitik“. Rödder leitet im Auftrag des Vorsitzenden die Grundwerte-Kommission der CDU.

Es war ja kein Versehen, dass Merz nach den Silvesterkrawallen von „kleinen Paschas“ sprach

Vor allem die „Wokeness“ hat es geschafft, sich in Rekordzeit vom Synonym für wache Aufmerksamkeit gegenüber rassistischen Umtrieben zum Schimpfwort zu wandeln. Das gilt nicht nur für den rechtskonservativ-reaktionären Rand des politischen Spektrums (Friedrich Merz eingeschlossen), sondern auch für eine Strömung, die immer noch unter linker Flagge segelt und jede identitätspolitische Regung und Bewegung als Hobby privilegierter Schichten auf Kosten des sozialen Kampfes für die „normalen Leute“ diffamiert.

Das hat übrigens eine interessante Pointe: Der Kampf gegen die Wokeness ist, um einen in diesen Kreisen gern genutzten Vorwurf aufzugreifen, nicht weniger „identitätspolitisch“ als die „woken“ Strömungen selbst: Die einen bekämpfen alles, was der „alte weiße Mann“ aus ihrer Sicht angerichtet hat, die anderen verteidigen sich ebenso verbissen gegen den angeblich anti-weißen „Rassismus“.

Der Kampf gegen die Wokeness ist nicht weniger „identitätspolitisch“ als die „woken“ Strömungen selbst

Aber warum nun fallen die Klischees der Anti-Woken teilweise auf so fruchtbaren Boden? Sie tun das nicht nur, weil sie auf die Verunsicherung vieler Menschen mit der Konstruktion einer vermeintlich eindeutigen Schuldzuweisung antworten. Sie tun es auch, weil es ihnen zum Teil gelingt, an einem nachvollziehbaren und berechtigten Unbehagen anzuknüpfen: Oft findet sich in der Rhetorik von Bewegungen gegen rassistische, sexistische oder ethnische Diskriminierung eine selbstbezogene Unbeugsamkeit, von der sich selbst potenzielle Verbündete ausgeschlossen fühlen müssen – wenn sie zum Beispiel die Tabuisierung bestimmter Formen des Sprachgebrauchs für zu weitgehend halten.

Es ist jede Mühe wert, zu verhindern, dass Friedrich Merz mit seiner Rolle als „Maaßen light“ durchkommt. Aber wer das will, wird auch jene Teile linker Identitätspolitik kritisch befragen müssen, die die Bewegung für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft in eine Vielzahl selbstbezogener Einzelbewegungen aufzuspalten drohen – und sei es ungewollt.

Auch interessant

Kommentare