Schwenk in Asylpolitik auf dem Gipfel: Ganz im Sinne von Hardliner Seehofer
Die Ergebnisse des Bund-Länder-Gipfels helfen Kommunen wenig im Umgang mit Geflüchteten. Menschenrechtlich ist der Kurs bedenklich. Der Leitartikel.
Die Welt ist aus den Fugen geraten. In etlichen Ländern herrscht Krieg, nicht nur in der Ukraine. Die Klimakatastrophe zeitigt schlimme Folgen. Armut grassiert vielerorts. Die Zahl der Menschen, die gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen, wächst.
Deutschland muss sich darauf einstellen, ob es will oder nicht. Hierher kommen so viele Menschen, dass sich die Kommunen schwer tun, sie gut unterzubringen und zu integrieren. Deswegen war es höchste Zeit für einen Gipfel im Kanzleramt.
Ernüchternde Ergebnisse des Gipfels im Kanzleramt
Die Ergebnisse sind allerdings mehr als nur ernüchternd. Sie sind unzureichend, was die Aufteilung der finanziellen Lasten betrifft. Und sie sind menschenrechtlich höchst bedenklich. Die Bundesregierung hat die Not der Kommunen quasi nebenbei genutzt für einen Schwenk in der Asylpolitik.
Die Ampel-Regierung will durchsetzen, was der flüchtlingspolitische Hardliner Horst Seehofer immer wollte, aber nie schaffte: Deutschland auf den Abschottungskurs rechter Regierungen in Europa zu lenken. Und die allermeisten Landesregierungen unterstützen sie dabei.

Zäune und Mauern um Europa nützen nichts
Dabei könnten alle wissen: Zäune und Mauern um Europa nützen den Kommunen überhaupt nichts. Die Menschen werden stattdessen auf noch gefährlicheren Wegen kommen. Auch der laute Ruf nach Abschiebung hilft niemandem, denn es gibt gute Gründe für die Abschiebehindernisse. Erst recht helfen diese Parolen nicht den Kommunen in der Unterbringungskrise.
Schon die Sprache führt in die Irre. Vom „Schutz der Außengrenzen“ ist jetzt wieder die Rede. Diejenigen, die wirklich Schutz benötigen, sind allerdings Familien, die vor Bomben und Krieg fliehen; Verfolgte, die in Diktaturen um ihr Leben fürchten müssen; und Menschen, die ihre Heimat wegen Stürmen und Überschwemmungen verlassen müssen.
Nicht flüchtende Menschen sind das Problem
Auch die Rede von der „irregulären Migration“, die als freundlichere Variante den Begriff der „illegalen Migration“ ersetzt hat, geht an der Realität vorbei. Deutschland hat bis heute praktisch keine legalen Einwanderungswege geöffnet. Wer also auf der Flucht ist und Asyl sucht, kann die Grenzen nur „irregulär“ überwinden. Doch mit den Begriffen beginnt schon die Diskreditierung der Betroffenen.
Nicht flüchtende Menschen sind das Problem. Die zentralen Probleme bestehen vielmehr in der mangelnden Bereitschaft vieler Staaten, sie aufzunehmen, und im Mangel an Infrastruktur auch in Deutschland. Die Bundesregierung muss daher in der europäischen Flüchtlings- und Asylpolitik energisch darauf dringen, dass auch andere Länder ihrem humanitären Anspruch gerecht werden und Menschen aufnehmen.
Ein falscher Weg ist dagegen der wiederholte Versuch, Asylverfahren an die Außengrenzen der EU auszulagern. Staaten wie Griechenland und Italien haben gezeigt, dass sie nicht willens sind, rechtsstaatliche Verfahren und menschenwürdige Unterbringung zu gewährleisten.
Bund verweigert Einigung im Streit um Finanzierung der Asylpolitik
In den deutschen Städten und Gemeinden zeigt der Umgang mit den geflüchteten Menschen wie in einem Brennglas, woran es fehlt: an bezahlbarem Wohnraum, an Schulen und Kitas, an Personal für Behörden, Bildung und Gesundheit. Gerade bei der Aufnahme der Ukrainerinnen und Ukrainer hat sich gezeigt, wie wichtig die bürgerschaftliche Unterstützung ist, um gutes Zusammenleben zu ermöglichen. Auch dafür braucht es hauptamtliche Strukturen.
Für all dies benötigen die Kommunen eine verlässliche Finanzierung. Es ist ein Trauerspiel, dass der Bund eine Einigung darauf verweigert hat. Die vereinbarte zusätzliche Milliarde Euro für das laufende Jahr ist eine willkommene Unterstützung für die Kommunen. Doch sie löst nicht das Grundsatzproblem, auf das die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten zu Recht hingewiesen haben.
Wenn mehr Schutzsuchende nach Deutschland kommen, muss auch mehr Geld für ihre Unterbringung und Versorgung bereitgestellt werden. Sobald wieder weniger Menschen eintreffen, kann weniger Geld fließen. Es ist viel zu spät, wenn die Entscheidung über eine so naheliegende Regelung auf den November verschoben wird. Dann können die Kommunen ihre Haushaltsplanung für 2024 kaum noch umstellen. Verlässliche Politik sieht anders aus.
Grüne gehen als Verlierer vom Gipfel
Eine herbe Niederlage bedeuten die Ergebnisse für die Grünen. Sie haben weder für ihre menschenrechtliche Haltung in Asylfragen noch für ihre Forderung nach dauerhafter Unterstützung der Kommunen Zustimmung gefunden. Nun müssen sie sich fragen lassen, wie weit sie bereit sind, eine Politik mitzutragen, die ihren Idealen zuwiderläuft.
Das macht die Zusammenarbeit in der Ampelkoalition noch schwieriger, als sie ohnehin ist. Doch in einer Welt, die dermaßen aus den Fugen geraten ist, ist ein Koalitionskrach noch das geringste Problem.