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Flüchtlingsbekämpfung in der Wüste

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Von: Uwe Kekeritz

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Mit EU-Geldern sollen afrikanische Flüchtlinge an ihrer Überfahrt nach Europa gehindert werden.
Mit EU-Geldern sollen afrikanische Flüchtlinge an ihrer Überfahrt nach Europa gehindert werden. © AFP

Afrikanische Staaten wie Niger sind mit EU-Hilfe zu Bollwerken gegen Migranten geworden. Gibt es keine Alternative? Der Gastbeitrag.

Knapp anderthalb Jahre nach der Öffnung der Grenzen für syrische Flüchtlinge scheint es, als ginge die Einwanderung nach Europa zurück. Das liegt jedoch nicht daran, dass weniger Menschen die gefährliche Reise nach Europa antreten. Der Rückgang ist auch darauf zurückzuführen, dass die EU ihre Außengrenzen auf den afrikanischen Kontinent verlegt. Die Festung Europa wird ausgebaut. Schutzsuchende werden abgewiesen. Transitländer wie Niger werden von Drehkreuzen der Migration in Bollwerke zur Migrationsabwehr verwandelt.

Der Wüstenstaat Niger ist geografisch bedingt seit jeher Knotenpunkt der afrikanischen Migrationsbewegungen. Auch heute reist ein Großteil der afrikanischen Migranten durch das Land. Die meisten bleiben innerhalb Afrikas. Einige reisen weiter nach Europa. Die Europäische Union will dieser Transitmigration einen Riegel vorschieben. Hierzu kooperiert sie eng mit der nigrischen Regierung. Sie verspricht Hilfsgelder für das Zurückdrängen der Migration und drückt bei den Themen Menschenrechte und gute Regierungsführung gerne mal ein Auge zu.

So erließ die nigrische Zentralregierung im vergangenen Jahr auf Druck der EU Gesetze, die Schleppertum und Menschenhandel unter Strafe stellen. Was zunächst vielversprechend klingt, hat fatale Folgen für die Migranten. In der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) ist Migration völlig normal. Die Menschen reisen für saisonale Arbeitsmöglichkeiten von einem Land ins nächste. In der Ecowas herrscht seit Jahrzehnten Personenfreizügigkeit, die von der EU lange als besonderer Vorteil der regionalen Integration positiv bewertet wurde. Wie im Schengen-Raum der EU können sich die Menschen ohne Visum oder Aufenthaltsgenehmigung frei in den Mitgliedstaaten bewegen. Die neue Gesetzgebung stellt diese Mobilität infrage und hat zudem weitreichende Auswirkungen auf diejenigen, die sich über Libyen und Algerien auf den Weg nach Europa machen.

Die Kriminalisierung der Migration führt dazu, dass die Schlepper Brunnen und Wasserstellen meiden und weitaus gefährlichere Routen wählen. Die Folgen sind noch mehr Tote in der Wüste, denn die Gesetzesverschärfungen halten die Menschen nicht von ihrer Reise nach Europa ab. Schließlich werden lediglich Symptome und keine Ursachen bekämpft. Mit fatalen Folgen: Die Sahara ist inzwischen tödlicher als das Mittelmeer. Kriminelle verdienen sich eine goldene Nase. Die Leidtragenden sind diejenigen, die in der Hoffnung auf ein besseres Leben ihre Heimat verlassen.

Folter und Vergewaltigung auf der Tagesordnung

Die Auswirkungen wurden bei meinem Besuch im Zentrum der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Agadez deutlich. Dort werden Migranten über die Gefahren einer Reise nach Europa informiert und gescheiterte Rückkehrer versorgt. Die Betroffenen werden medizinisch behandelt und psychologisch betreut. Im direkten Gespräch mit den Migranten erfuhr ich, dass nahezu alle auf ihrem Weg durch Libyen oder Algerien ausgeraubt und Opfer massiver physischer Gewalt wurden. Etliche waren unter unmenschlichen Bedingungen in dunklen Verliesen eingesperrt, bis ihre Familien die Lösegeldforderungen ihrer Peiniger erfüllten.

Folter und Vergewaltigungen sind auf den Migrationsrouten an der Tagesordnung. Das Auswärtige Amt in Berlin sprach von KZ-ähnlichen Zuständen in libyschen Gefängnissen. Das Resultat sind gebrochene Menschen, die in ihrer Verzweiflung versuchen, irgendwie in ihre Heimatländer zurückzukehren. Die IOM hilft ihnen dabei. Die Mitarbeiter der Organisation bemühen sich darum, Reisedokumente für die Bewohner des Zentrums zu beschaffen, und vermitteln einfache handwerkliche Qualifikationen. So können die Migranten nach der Rückkehr in ihre Heimat einer Arbeit nachgehen.

Die IOM scheint in Agadez gute Arbeit zu leisten. Allerdings stößt auch sie vor dem Hintergrund der hohen Zahlen von Migranten an ihre Grenzen. Die EU plant inzwischen, weitere Zentren entlang den Fluchtrouten zu errichten. Auch diese werden die Probleme jedoch nicht lösen. Der afrikanischen Bevölkerung fehlt es schlicht an Perspektiven. Wer es sich leisten kann, sucht sein Glück anderswo.

Die Europäische Union und die Bundesregierung müssen endlich umsteuern und durch menschenrechtsbasierte Ansätze dafür sorgen, dass Menschen ein Schicksal als Flüchtling erspart und Migration nicht kriminalisiert wird. Hierfür braucht es mehr legale Zugangswege, erleichterten Familiennachzug und eine zivile Seenotrettung auf dem Mittelmeer. Es muss Schluss sein mit den auf europäischer Ebene vorangetriebenen Abschottungsmaßnahmen.

Stattdessen braucht es eine entwicklungsdienliche, partnerschaftliche Zusammenarbeit mit unserem Nachbarkontinent. Die zivile Krisenprävention muss ins Zentrum der Außenpolitik gestellt werden. Ein faires Handels-, Steuer- und Finanzsystem muss den Entwicklungsländern eine faire Chance auf Entwicklung geben. Zudem müssen die europäische Agrarpolitik sowie die Konsum- und Produktionsmuster in den Industriestaaten so verändert werden, dass sie keine negativen Auswirkungen auf die Menschen in den Herkunftsstaaten haben. Eine vorausschauende Umwelt- und Klimapolitik muss weltweit die Lebensgrundlagen der Menschheit schützen.

Uwe Kekeritz ist Mitglied des Deutschen Bundestages und Sprecher für Entwicklungspolitik der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Als Vorsitzender der Parlamentariergruppe französischsprachiger Staaten West- und Zentralafrikas besuchte er gemeinsam mit einer Bundestagsdelegation die Staaten Burkina Faso und Niger.

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