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Fachkräfte anziehen

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Von: Rudolf Hickel

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Warnstreik in Ludwigshafen: Stärkung der Binnenwirtschaft auch durch kaufkraftfähiges Einkommen im öffentlichen Dienst.
Warnstreik in Ludwigshafen: Stärkung der Binnenwirtschaft auch durch kaufkraftfähiges Einkommen im öffentlichen Dienst. © Uwe Anspach/dpa

Bei der Tarifrunde für den öffentlichen Dienst muss es auch darum gehen, den Anschluss an die Privatwirtschaft nicht zu verlieren. Der Gastbeitrag.

Lohnverhandlungen sind derzeit auch wegen der mehrfachen, sich wechselseitig verstärkenden Krisen nicht einfach. Dennoch gibt es im Kern Anforderungen an die Tariffindung, die nicht über Bord geworfen werden sollten. Dies gilt ebenso für den öffentlichen Dienst, dessen Beitrag zur ökonomischen Wertschöpfung und sozialen Stabilität nicht erst seit der Corona-Krise unübersehbar ist. Jetzt fordern die Gewerkschaften von Bund und Kommunen, die Arbeitsentgelte um 10,5 Prozent zu erhöhen, jedoch einen Mindestanstieg von 500 Euro zu sichern. Ist das gegenüber der Not vieler öffentlicher Haushalte zu verantworten?

Zur Antwort braucht es die Bereitschaft, frei von der grundsätzlich neoliberalen Abwertung öffentlicher Dienstleistungsproduktion die Lage der Beschäftigten mit ihrem Beitrag zur gesellschaftlichen Wertschöpfung zu begreifen. Aktuell steht bei der Tarifforderung der massive Verlust an Kaufkraft durch die hohe Inflation im Mittelpunkt. Dazu kommt die Tatsache, dass die dadurch erzeugten Wohlstandsverluste die unteren Einkommensbezieher wegen des hohen Anteils der Energie und Nahrungsmittel im Warenkorb besonders mehr belasten als die Einkommensstarken. Zum Ausgleich dieser sozialen Ungerechtigkeit durch Inflation fordern die Gewerkschaften einen Mindestbetrag von 500 Euro mehr an Lohn.

Gegenüber der 10,5 Prozent-Forderung propagieren die marktfundamentalistischen Hardliner eine Lohnpause. Dadurch würden sich die Existenz belastenden, realen Verluste der Arbeitseinkommen besonders auf die gestressten Beschäftigten im öffentlichen Dienst konzentrieren. Dagegen reicht der Vorschlag von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) einer abgabenfreien Einmalzahlung auch nicht aus. Denn es geht um die tabellenwirksam gewollten Lohnerhöhungen als Basis für die künftige Lohnentwicklung.

Auch wegen des Wettbewerbs um Arbeitskräfte, die Beschäftigten beim Bund und den Kommunen dürfen nicht von den Bedingungen der marktbezogenen Privatwirtschaft entkoppelt werden. Tarifpolitik ist keine Schönwetterveranstaltung. Jetzt kommt es darauf an, zur Motivation der arg belasteten Beschäftigten beizutragen. Hinzu kommt die Stärkung der Binnenwirtschaft auch durch kaufkraftfähiges Einkommen auch im öffentlichen Dienst.

Selbstverständlich orientiert sich die Tarifforderung an den Bund und die Kommunen an der Entwicklung der den realen Wohlstand mindernden Inflationsrate vor allem im letzten Jahr. Die für dieses Jahr vorliegenden Prognosen gehen insgesamt von einem Geldwertverlust bis sieben Prozent aus. Einfluss auf die Tarifforderung hat aber auch der dringliche Nachholbedarf wegen der vorangegangenen Reallohnverluste: Nach den Reallohnverlusten 2020 und 2021 sind die Nominallöhne im vergangenen Jahr um 3,4 Prozent gestiegen. Die Inflationsrate von 7,9 Prozent hat jedoch die realen Einkommen um 4,5 Prozent dezimiert.

Der Tarifpolitik stellt sich also die Aufgabe, die aufgestauten Verteilungsverluste der Beschäftigten zu reduzieren. Die Sorge, durch diese Lohnpolitik könne ein Inflationsanstieg folgen, ist unbegründet. Nicht die Lohn-Preis-Spirale, sondern die durch monopolistische Unternehmen durchgesetzte Preis-Preis-Spirale ist das Problem. Es droht auch keine inflationstreibende Übernachfrage. Vielmehr muss die binnenwirtschaftliche Nachfrage durch die gerechte Verteilung der Löhne und Gewinne gestärkt werden.

Schließlich gilt es, heute auch die Rechnung für den Verlust an guter Arbeit im öffentlichen Dienst durch andauernde Einsparrunden zu begleichen. Die Lohnformel dient dazu, den Abstand gegenüber der Privatwirtschaft abzubauen und den öffentlichen Dienst für Fachkräfte attraktiv zu machen.

Niemand bezweifelt, viele Kommunen leiden unter defizitären Budgets. Mit der Ablehnung der gewerkschaftlichen Lohnforderung die Verantwortung für die Haushaltskrise den Beschäftigten zuzuschieben, erinnert an einen Trugschluss. Vielmehr müssen die Kommunen fiskalisch im System des föderalen Mehrebenenstaates besser ausgestattet werden. Dazu gehört eine gerechte Steuerpolitik. So könnte mit einer Vermögensabgabe, die in die Kassen der Länder fließt, die fiskalische Ausstattung der Kommunen über Zuweisungen gestärkt werden. Zusätzliche öffentliche Investitionen zum Abbau von aufgestauten Defiziten und zum sozial-ökologischen Umbau dürfen ja auch nicht mangels Finanzierbarkeit auf kommunaler Ebene gestrichen werden. Vielmehr sind die Aktivitäten des Bundes für kommunale Investitionsprogramme auszubauen.

Diese Tarifrunde wird am Ende über die Anerkennung des Wertschöpfungsbeitrags der Erwerbsarbeit beim Bund und den Ländern entscheiden. Eine kluge Lösung des Tarifkonflikts zugunsten der Attraktivität der Arbeit im öffentlichen Dienst lohnt sich.

Rudolf Hickel ist Forschungsleiter am Institut Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen

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