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EZB: Die richtige Strategie

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Von: Frank-Thomas Wenzel

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Die EZB erhöht das Inflationsziel – ein großer Schritt für Europa.
Die EZB erhöht das Inflationsziel – ein großer Schritt für Europa. © Hannelore Foerster/imago

Dass die EZB das Inflationsziel erhöht, wirkt wie ein kleiner Schritt für die Notenbank. Es ist aber ein großer Schritt für ganz Europa. Der Leitartikel.

Wenn Notenbanker:innen sich in der Öffentlichkeit zu Wort melden, dann reden sie in der Regel in Codes, die nur Eingeweihte verstehen. Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, hat sich seit ihrem Amtsantritt bemüht, die Außendarstellung der Behörde aufzupeppen und folglich die aktuellen Interventionen am Finanzmarkt „Pepp“ genannt, was für „Pandemic Emergency Purchase Programme“ (Pandemienotfall-Kaufprogramm) steht.

Und dabei geht es um etwas, das keine abgedrehte Finanztechnokratie ist, sondern uns alle betrifft. Mit Pepp wird Geld in die Volkswirtschaften gepumpt, das maßgeblich dafür sorgt, dass trotz eines zeitweisen Stillstands der Wirtschaft Millionen von Jobs in der EU gesichert werden.

Die wichtigste EZB-Chiffre und der bisherige Leitstern ihres Handels war „unter, aber nahe zwei Prozent“, womit die Inflation in der Eurozone gemeint ist. Offiziell war alles Handeln daran orientiert, diese Zielmarke zu erreichen. Doch jetzt wird damit gebrochen. Künftig soll es nur noch „zwei Prozent“ heißen. Das wirkt wie ein kleiner Schritt für eine Notenbank, ist aber ein großer Schritt für ganz Europa.

Die Entscheidung musste schnell kommen: Alles spricht dafür, dass der Anstieg der Verbraucherpreise in der Eurozone im Juni die magische Grenze überschritten hat. Dem alten Regime zufolge hätte Lagarde die geldpolitischen Zügel anziehen müssen. Mit den blanken zwei Prozent hält sie sich die Möglichkeit offen, auch über einen längeren Zeitraum eine Inflation von mehr als zwei Prozent zu tolerieren – um Programme wie Pepp fortzuführen.

Zugleich wird ein Paradigmenwechsel vollzogen, der de facto längst Wirklichkeit ist: Zur alten Orthodoxie gehörte auch, dass sich die Notenbank ausschließlich um die Stabilität des Geldes zu kümmern hat und sich aus Wirtschafts- und Finanzpolitik raushält. Doch das ist knapp 100 Jahre her. Die EZB verlor ihre Unschuld als vermeintliches politisches Neutrum spätestens, als ihr damaliger Präsident Mario Draghi 2012 in der Eurokrise mit seiner „Whatever it takes“-Rede die Parole der Ultima Ratio ausgeben musste. Mit seiner Ankündigung, alles nur Denkbare zu tun, um den Euro zu stabilisieren, rettete er nicht nur die Währungsunion, sondern bewahrte auch die EU vor dem Zerbrechen.

In dem Stil ging es weiter. Draghi setzte gegen den Widerstand der Bundesbank eine Niedrigzinspolitik durch, die bis zum heutigen Tag fortgeführt wird. Die EZB sprang damit in die Bresche, um die schwer angeschlagenen Volkswirtschaften im europäischen Süden zu stützen, während die Regierenden in der Staatengemeinschaft sich viel zu lange zierten, Konjunkturprogramme auf den Weg bringen.

Die wichtige geldpolitische Erkenntnis der vergangenen Jahre ist indes: Trotz null Prozent Zinsen ist die Teuerung über einen langen Zeitraum meilenweit unterhalb von „nahe zwei Prozent“ geblieben. Das hat sich erst durch die vorübergehende Sondersituation geändert, die durch Lockdowns und nachfolgende Lockerungen entstanden ist. Damit ist auch das alte Dogma widerlegt, dass es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Zinsniveau und Inflation gibt.

Gut so. Die EZB hat nun mit den blanken zwei Prozent mehr Handlungsspielraum, den sie für die kommenden Jahre dringend braucht für ein Projekt, das noch viel anspruchsvoller als die Linderung der Pandemiefolgen mittels Pepp ist: der Kampf gegen den Klimawandel. Der kann nur mit ehrgeizigen staatlichen Förderprogrammen gewonnen werden. Dafür müssen sich die EU und ihre Mitglieder das Geld günstig am Kapitalmarkt beschaffen können. Deshalb braucht es ein dauerhaft niedriges Zinsniveau in der Eurozone.

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