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Die Ewigkeitslasten des Atomzeitalters

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Das Zwischenlager des Kernkraftwerks Gundremmingen in Bayern.
Das Zwischenlager des Kernkraftwerks Gundremmingen in Bayern. © dpa

Dem Abschlussbericht der Atommüllkommission fehlt bei „Gorleben“ ein Signal für einen Neustart.

Von Klaus Brunsmeier und Michael Müller

Die Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe, die von Bundestag und Bundesrat eingesetzt wurde, hat sich mehr als zwei Jahre intensiv mit einer bestmöglichen Einlagerung insbesondere hoch radioaktiven Atommülls beschäftigt, der derzeit in knapp 2000 Castor-Behältern zwischengelagert wird. Heute legt sie ihren Abschlussbericht vor. Er empfiehlt nicht nur weiterführende wissenschaftlich-technische Kriterien und Sicherheitsanforderungen und eine umfassende Bürgerbeteiligung in allen Phasen, er zeigt auch historische und gesellschaftliche Zusammenhänge auf. Damit soll gezeigt werden, dass aus den Fehlern der Atomenergie gelernt werden muss.

Die hoch radioaktiven Abfälle sind da und müssen, wie das Bundesamt für Strahlenschutz fordert, über eine Million Jahre sicher von der Umwelt abgeschlossen werden. Das übersteigt weit unser gesichertes Vorauswissen. So verschwindet zwar in spätestens sechs Jahren der Atomstrom in Deutschland aus den Steckdosen, doch der zweite große Konflikt ist noch lange nicht beendet: die Lagerung des Atommülls. Die Vorgabe der Kommission heißt, dass der in unserem Land produzierte radioaktive Abfall auch in der Bundesrepublik entsorgt werden muss.

Der Bericht baut auf der Arbeit des AK Endlagerung auf, macht aber auch eine Reihe neuer Vorschläge, auch solche, die nicht zu erwarten waren. Dazu zählen insbesondere nunmehr gleichgewichtige Abwägungs- und Auswahlkriterien für eine höhere Sicherheit beispielsweise durch eine vorsorgliche Wärmebegrenzung der Lagerbehälter und Anforderungen an das Deckgebirge, ein erweiterter Rechtsschutz und viele neue Beteiligungsformen. Der Bericht der Kommission macht zudem klar, wie notwendig eine Zukunftsethik ist, auch durch die Entschleunigung und Reversibilität weit in die Zukunft reichender Entscheidungen. Und er empfiehlt einen Ausbau der Technikfolgenbewertung und Technikgestaltung.

Der Bericht hat allerdings auch Schwachstellen. So bleibt unklar, wie der schwach- und mittelradioaktive Müll gelagert werden soll, wie Kristallin als Lagerstätte in der Auswahl bleibt, was Bayern und Sachsen zu verhindern suchen, und ob der Atomausstieg im Grundgesetz abgesichert wird. Vor allem aber: Durch die politische Vorgabe einer „weißen Landkarte“ war die Kommission nicht in der Lage, einen Schlussstrich unter das Kapitel Gorleben zu ziehen.

Das Argument, dies hätte eine präjudizierende Wirkung auf potenzielle Standorte, kann nicht überzeugen, denn nur Gorleben hat eine reale Geschichte als Standort, den selbst Ernst Albrecht, der frühere niedersächsische CDU-Ministerpräsident, als „nicht durchsetzbar“ bezeichnet hat. Ein Nein zu Gorleben hätte den Willen der Kommission glaubwürdiger gemacht, zu einem Neustart zu kommen. Sie blieb gespalten in zwei unterschiedliche Sichtweisen der Endlagergeschichte.

Die Auseinandersetzung um den Atommüll erfordert sowohl eine Zukunfts- wie eine Vergangenheitsbewältigung. Die zivile Nutzung der Atomkraft, die in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Deutschland vom sogenannten Uranverein um Werner Heisenberg vorangetrieben wurde, war eine „organisierte Verantwortungslosigkeit“, so der Sozialwissenschaftler Ulrich Beck. Nur wenige profitierten von der Atomenergie, die nicht nur in Tschernobyl und Fukushima unsägliches Leid verursacht hat.

Mit dem Ausstieg kam es zur Zäsur, an dessen Ende die Abschaltung aller deutschen Atomkraftwerke steht und all denen Recht gibt, die vor den Gefahren gewarnt haben, in Wyhl und Brokdorf, in Wackersdorf und Gorleben und anderswo. Diese Menschen verdienen unseren Dank und Respekt. Soll die bestmögliche Lagerstätte gefunden werden, brauchen wir gerade sie. Es geht nämlich nicht mehr um die Frage des „ob“, sondern allein noch um das „wie“ und „wo“. Deshalb muss alles getan werden, dass es zu einem fairen, wissenschaftlich fundierten Such- und Auswahlverfahren kommt.

Der Ausstieg der Atomenergie ist noch nicht der Abschied. Mit den Folgen und Gefahren, zu denen auch militärischer oder terroristischer Missbrauch gehört, müssen nun alle nachfolgenden Generationen leben und auch die Kosten tragen. Nach einer ersten Abklingzeit müssen rund 30 000 Kubikmeter hoch radioaktiver Abfallstoffe, die über 99 Prozent der radioaktiven Aktivität enthalten, möglichst sicher gelagert werden.

Nach heutigem Stand bietet sich dafür ein geologisches Tiefenlager in Granit, Salzgestein oder einer Tonschicht an. Zudem muss neben dem Schacht Konrad, in dem 303 000 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktiven Mülls eingelagert werden sollen, eine weitere Lagerstätte für rund 300 000 Kubikmeter für Atommüll aus der Asse und der Urananreicherungsanlage Gronau sowie für „nicht Konrad-gängige Abfälle“ gefunden werden.

Der kurzen Zeit der Atomenergie folgt nun ein ungleich längerer Zeitraum des Aufräumens. Mehr noch: Mit der Atomenergie gerät das Prinzip des Irrtumslernens, dem der Mensch fast alles verdankt, was er geworden ist und was er erworben hat, an Grenzen, bedroht von einer fehlerfeindlichen Großtechnologie, die menschliches Versagen nicht zulässt. Neues Denken ist notwendig.

Klaus Brunsmeier ist stellvertretender Vorsitzender des Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) und war Mitglied der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfälle.

Michael Müller ist Vorsitzender der Naturfreunde und war zusammen mit Ulla Heinen Esser Vorsitzender der Kommission. Beide gehören seit vielen Jahrzehnten zur Antiatombewegung.

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