Europas Zukunft nicht den Staaten überlassen

Eine Konferenz soll klären, wie es mit der EU weitergeht. Das geht nicht ohne Bürgerbeteiligung. Die Mitglieder dürfen nicht weiter blockieren. Der Gastbeitrag.
Die Europäische Union (EU) ist nicht in einem guten Zustand. Wäre sie eine Patientin, würde sie längst medizinisch behandelt. Mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU haben die vielfältigen Krisen der letzten Jahre einen Tiefpunkt des europäischen Integrationsprozesses erreicht.
Die Ende vergangenen Jahres ins Leben gerufene Konferenz zur Zukunft Europas bietet nun die Chance, den Krisenmodus zu verlassen und den Blick nach vorne zu richten, um die Zukunft von zig Millionen Europäerinnen und Europäern aktiv zu gestalten. Agieren statt zu reagieren, muss die neue Devise heißen.
Was will diese Konferenz erreichen? Diese Frage wird in den letzten Wochen immer häufiger gestellt, nicht nur in Brüsseler Korridoren, sondern auch vermehrt durch Bürgerinitiativen, zivilgesellschaftliche Organisationen und Jugendverbände in den einzelnen EU-Staaten.
Der Vorschlag für eine Konferenz zur Zukunft Europas wurde von Ursula von der Leyen, damals noch Kandidatin für den Vorsitz der Europäischen Kommission, in Aussicht gestellt, um die Verfechter des Spitzenkandidatenprinzips von ihrer Eignung als EU-Kommissionspräsidentin zu überzeugen, obwohl sie nicht als Spitzenkandidatin angetreten war. Bei der Konferenz geht es mittlerweile um deutlich mehr als eine verbindliche Regelung für das Spitzenkandidatenprinzip oder eine Einführung länderübergreifender Wahllisten, sogenannter transnationalen Listen, obwohl natürlich fristgerechte Lösungen gefunden werden müssen, damit diese bei der nächsten Europawahl im Jahr 2024 angewendet werden.
Das Kernanliegen der Konferenz besteht darin, die Handlungsfähigkeit der EU zu stärken – nach innen wie nach außen. Innenpolitisch geht es um eine demokratischere, sozialere und nachhaltigere Union. Außenpolitisch steht nicht weniger als die Glaubwürdigkeit der EU auf dem Spiel. Wird es der EU wieder gelingen, international mit einer Stimme zu sprechen, oder wird sie sich weiterhin durch das Prinzip der Einstimmigkeit selbst blockieren?
Das Europäische Parlament hat ein innovatives Konzept für die Konferenz zur Zukunft Europas ausgearbeitet, das der Erwartungshaltung dieser Initiative gerecht wird. Orientiert an der Struktur des Europäischen Konvents, fordern wir einen klaren Rahmen für diesen auf zwei Jahre angesetzten Prozess. In dessen Mittelpunkt stehen die europäischen Bürgerinnen und Bürger, und zwar von Anfang an.

Die jüngste Mitteilung der Europäischen Kommission wirkt wie ein halbherziger Versuch. Sie beinhaltet keine Vorschläge für die Ausgestaltung der Konferenz und schlägt kein neues Format der Bürgerbeteiligung vor.
Die von der Kommission gepriesenen Bürgerdialoge, die als Teil der Konferenz zur Zukunft Europas weiterentwickelt werden sollen, haben bislang ausschließlich unter Fachleuten in den bereits stark politisch geprägten Hauptstädten stattgefunden. Von einem Dialog auf Augenhöhe mit repräsentativen Bürgerinnen und Bürgern kann nicht die Rede sein.
Mit einem „Weiter so“ der bekannten und überholten Formate der Bürgerbeteiligung ist die Konferenz zum Scheitern verurteilt. Daher muss sich die EU-Kommission in den kommenden Wochen besinnen und sich ihrer Verantwortung in diesem Prozess bewusst werden.
Nachdem das Parlament und die Kommission ihre Vorstellungen zur Zukunftskonferenz veröffentlicht haben, muss sich nun der Rat positionieren. Bei dem Rat, der die Interessen der Mitgliedstaaten vertritt, hielt sich die Begeisterung über eine Konferenz zur Zukunft Europas bisher in Grenzen.
Bislang ging es den Vertretern der EU-Staaten hauptsächlich um Kompetenzfragen. Genau dieser Fokus auf ausschließlich nationale Interessen hat dazu geführt, dass der Rat wie keine andere EU-Institution für die Blockaden und die mangelnde Handlungsfähigkeit der EU verantwortlich ist.
Mögliche Vertragsänderungen lehnt der Rat ab und blendet dabei aus, welches Potenzial die Konferenz zur Zukunft Europas auch für nationale Interessen hat. Eine handlungsfähige, durchsetzungsfähige und zukunftsorientierte EU agiert im Interesse ihrer Bürgerinnen und Bürger.
Dass der Rat nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU nicht in der Lage ist, eine sachdienliche Debatte über die Zukunft des europäischen Integrationsprozesses zu führen, zeigt, dass er den Ernst der Lage immer noch nicht erkannt hat.
Bei den Verhandlungen über ein gemeinsames Konzept für die Konferenz zur Zukunft Europas wird das Parlament der Motor sein für eine neue Form der Bürgerbeteiligung. Es wird hoffentlich genug Antrieb haben, um die EU-Kommission und den Rat fortzubewegen.
Gabriele Bischoff ist SPD-Europaabgeordnete. Sie hat die S&D-Fraktion in der Arbeitsgruppe zur Vorbereitung der Konferenz zur Zukunft Europas vertreten.