Soli vor dem Aus – Abschaffung ist Klassenkampf von oben

Wer die Abschaffung des Solidaritätszuschlags fordert, betreibt Klassenkampf von oben. Ein Gastbeitrag von Christoph Butterwegge.
Am kommenden Montag verkündet der Bundesfinanzhof, ob er die vom Bund der Steuerzahler unterstützte Klage gegen den Solidaritätszuschlag dem höchsten deutschen Gericht zur Entscheidung vorlegt. Dann müssen die Karlsruher Richter:innen klären, wie es mit dem Ergänzungszuschlag auf bestimmte Steuerarten weitergeht. Argumentiert wird von den Klägern, dass er nach Auslaufen des Solidarpakts II im Jahr 2019 und der Umgestaltung im Jahr 2021 unrechtmäßig, sein Zweck – die Finanzierung des „Aufbaus Ost“ – erfüllt und die Konzentration auf Besserverdienende nicht mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar sei.
Es gehört zu den verbreiteten Irrtümern, die politische Begründung eines Gesetzentwurfes – in diesem Fall zur Erhebung des Solidaritätszuschlages im Jahr 1995 – für einen Bestandteil des verabschiedeten Gesetzes zu halten. Selbst wenn man zu dem Schluss gelangt, dass die deutsche Vereinigung mittlerweile vollendet sei, bleibt die Tatsache bestehen, dass der Solidaritätszuschlag damals zeitlich unbefristet (wieder)eingeführt worden ist.
Solidaritätszuschlag: Reiche stärker zur Finanzierung der Staatsausgaben heranziehen
Auch verbietet der Gleichbehandlungsgrundsatz unserer Verfassung natürlich keineswegs, Einkommensstarke und -schwache unterschiedlich zu behandeln. Denn sonst müsste die Steuerprogression ebenfalls für grundgesetzwidrig erklärt werden – was beim Steuerzahlerbund als einer Lobbyeinrichtung der Konzerne und ihrer privaten Eigentümer sicherlich die Champagnerkorken zum Knallen bringen würde!
Von der Vermögenssteuer, die sogar explizit im Artikel 106 des Grundgesetzes steht, obwohl sie seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr erhoben wird, braucht man in diesem Argumentationszusammenhang gar nicht zu sprechen. Sie beweist allerdings, dass der Verfassungsgesetzgeber ausdrücklich Reiche stärker zur Finanzierung der Staatsausgaben heranziehen wollte. Nichts anderes geschieht mittels des Solidaritätszuschlages, insbesondere seitdem ihn bloß noch zehn Prozent der Einkommensteuerzahler:innen und 3,5 Prozent der Einkommensteuerzahler:innen in voller Höhe von 5,5 Prozent auf die Steuerschuld bezahlen müssen.
Der verteilungspolitische Charme des im Volksmund liebevoll „Soli“ genannten Ergänzungszuschlages besteht allerdings darin, dass er nicht bloß auf die Lohn- und Einkommensteuer (von Spitzenverdienern), sondern auch auf die Kapitalertrag- und die Körperschaftsteuer erhoben wird. Wer eine Abschaffung des Solidaritätszuschlages fordert, den seit 2021 bloß noch Spitzenverdiener und Spitzenverdienerinnen sowie Kapitalgesellschaften wie GmbHs und AGs entrichten müssen, betreibt Klassenkampf von oben. SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Linke möchten ihn beibehalten, CDU/CSU, FDP und AfD nicht.
Klage gegen Solidaritätszuschlag: Könnte das Bundesverfassungsgericht den Soli kippen?
Erfahrungsgemäß schützen höhere Gerichtsinstanzen eher die Besitzinteressen von Reichen und Hyperreichen, als dass sie den Armen und sozial Benachteiligten ihre Existenzsorgen nehmen – früher nannte man das Klassenjustiz. Deshalb ist es gut möglich, dass der „Soli“ vom Bundesverfassungsgericht am Ende gekippt wird. Dies wäre für den Bundeshaushalt desaströs, ergäben sich hieraus doch Rückzahlungsverpflichtungen im hohen zweistelligen Milliardenbereich.
Christoph Butterwegge hat von 1998 bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität Köln gelehrt. Sein jüngstes Buch hat den Titel „Die polarisierende Pandemie. Deutschland nach Corona“.
Verteilungspolitisch wäre das Urteil skandalös, denn die in Deutschland seit der Jahrtausendwende ohnehin stetig wachsende Einkommens- und Vermögensungleichheit würde sich noch mehr verschärfen. Stattdessen sollten die politisch Verantwortlichen den Solidaritätszuschlag umwidmen, verdoppeln und für die Bewältigung der durch die Pandemie, die Energie(preis)krise und die Inflation geschaffenen Probleme verwenden. Schließlich haben sich die Lebensbedingungen von Millionen Menschen zuletzt drastisch verschlechtert, weil sich die Krisenphänomene häuften und intensivierten. Während der Reichtum davon kaum tangiert wird und sich das Vermögen mehr denn je bei wenigen (Unternehmer-)Familien konzentriert, nimmt die Armut bis in die untere Mittelschicht hinein zu.
In dieser Ausnahmesituation sollten finanzstarke Bürger:innen mehr Verantwortung für die Staatsfinanzen übernehmen. Nur rund zehn Prozent der Einkommensteuerpflichtigen bezahlen den Solidaritätszuschlag noch und bloß Topverdiener:innen noch in voller Höhe. Für Singles mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 100.000 Euro, also einem Bruttomonatsverdienst von annähernd 10.000 Euro, wird eine Einkommensteuer in Höhe von 32.027 Euro und ein Solidaritätszuschlag von 1723,59 Euro fällig. Würde der Solidaritätszuschlag für die Bewältigung der Pandemie- und Energiekrise sowie der Inflation umgewidmet und verdoppelt, also in der Spitze auf elf Prozent der Einkommenssteuerschuld erhöht, beliefe sich die Mehrbelastung gerade mal auf 143,63 Euro im Monat – wohlgemerkt: bei einem Bruttoeinkommen von rund 10.000 Euro. (Christoph Butterwegge)