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Ermächtigung zur Zensur

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Von: Damir Fras

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Ungarns Mediengesetz bricht mit den demokratischen Grundwerten. Regierungschef Orbán reiht sich damit hinter Haider und Berlusconi ein - und das träge Europa der 27 schaut tatenlos zu.

Nun erhebt sich ein Lamento quer durch Europa. Nun wird lauthals geklagt. Aber das Klagelied nützt wahrscheinlich niemandem mehr. Europa hat zugesehen, bis es zu spät war. Europa hat sich überfahren lassen von Viktor Orbán, dem Premierminister der Republik Ungarn. Der baut mit seiner Zweidrittelmehrheit im Parlament von Budapest seit Monaten den Staat um, wie es ihm gefällt, und bringt dabei die Europäische Union in die größte Glaubwürdigkeitskrise ihrer Geschichte.

Vom 1. Januar an soll zum Beispiel in Ungarn ein Gesetz gelten, das alle Medien unter Knebelung stellt. Eine regierungsnahe Behörde wird Zeitungs-, Rundfunk-, Fernseh- und Online-Beiträge auf ihre politische Ausgewogenheit untersuchen. Sind sie vermeintlich nicht ausgewogen, sollen die Medienunternehmen mit hohen Geldbußen belegt werden. Das führt zu Zensur und zu Selbstzensur. Medien werden entstehen, die sich wie einst die Prawda in der Sowjetunion oder das Neue Deutschland in der DDR lesen dürften. In Ungarn ist das Ende der Pressefreiheit nahe. Den Schriftsteller György Konrád erinnert das heutige Ungarn an das Deutschland des Jahres 1933 – und Konrád liegt richtig. Orbán sägt an den Stützpfeilern eines demokratischen Staats, dessen Verfassung er zu verteidigen, nicht aber zu zerstören hat.

Jene, die – wie Bundeskanzlerin Angela Merkel oder ihr Außenminister Guido Westerwelle – jetzt lamentieren, dass das Budapester Gesetz den Normen der Europäischen Union widerspreche, müssen sich fragen lassen, warum sie denn die zahlreichen Warnungen vor dem Rückfall Ungarns in autoritäre Strukturen nicht gehört haben oder gar nicht hören wollten.

Das Problem ist tief im System der EU verankert. Ein Fall wie Ungarn ist einfach nicht vorgesehen. Niemand stört sich daran, wenn ein Staat als EU-Mitglied ein Gesetz erlässt, das die Aufnahme in die EU verhindert hätte, wenn genau jenes Gesetz schon vor dem Beitritt in Kraft gewesen wäre. Mitglied der Europäischen Union wird, wer die Beitrittsprozedur übersteht. Darin müssen vor allem ökonomische Kennziffern zwingend erfüllt werden. Dagegen reicht es völlig aus, wenn das Bekenntnis zur demokratischen Rechtsstaatlichkeit, die zwingend die Pressefreiheit einschließt, nur pro forma abgelegt wird.

Unfähigkeit der EU, Schwierigkeiten zu meistern

Das Treiben der ungarischen Regierung ist dabei besonders perfide. Das Mediengesetz aus Budapest nämlich riecht nach Ermächtigungsgesetz. Nicht einmal der Rechtspopulist Jörg Haider hat solche Pläne verfolgt, als er im Jahr 2000 eine Koalition mit den Christdemokraten in Österreich einging. Auch der italienische Polit-Clown Silvio Berlusconi, der alle Medien gern gängelt, die er nicht besitzt, hat sich noch keine Paragrafen einfallen lassen, die die Pressefreiheit derart missachten, wie das Orbán mit seinem Gesetz vorhat.

Haider und Berlusconi sind gute Beispiele für die Unfähigkeit der EU, mit internen Schwierigkeiten umzugehen. Bis heute gibt es keinen praktikablen Sanktionsmechanismus. Artikel 7 des Europäischen Vertrags sieht zwar vor, dass einem Mitgliedsland bei schwerwiegenden und anhaltenden Verletzungen der gemeinsamen Grundsätze das Stimmrecht auf Zeit entzogen werden kann. Jedoch ist so etwas noch nie geschehen. Das träge Europa der 27 kann sich zu einem Akt der Selbstreinigung nicht entschließen. Dass es im Fall Ungarns, wo es nötig wäre, geschehen könnte, daran glauben nur jene, die auch glauben, am vergangenen Freitag habe der Weihnachtsmann die Geschenke gebracht.

Vom 1. Januar an wird ausgerechnet Ungarn für sechs Monate die Präsidentschaft der EU übernehmen. Das ist ein symbolisches Amt – unwichtig, könnte man sagen. Viktor Orbán wird es kaum gelingen, der EU noch mehr Schaden zuzufügen. Das hat er schon erledigt. Doch peinlich dürfte es trotzdem werden. Auch weil sich die EU bislang gern als Wahrerin der Rechtsstaatlichkeit geriert und keine Gelegenheit auslässt, Dritte zu mahnen. Aber was soll der Medienknebler Orbán denn sagen über die Menschenrechte und die Medienfreiheit in Weißrussland, in Russland, in China oder sonst wo? Nichts kann er sagen, keinen Pieps kann er machen.

Kein Schlagwort wird in der EU so oft bemüht wie jenes von der europäischen Wertegemeinschaft. Wie es damit wirklich bestellt ist, zeigt sich nun: An der Spitze dieser Wertegemeinschaft steht in Viktor Orbán demnächst ein Regierungschef, der sich um diese Werte nicht schert und sie auch nicht glaubwürdig vertreten kann.

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