Tarifstreit im Öffentlichen Dienst: Druck im Kessel

Die Schlichter Milbradt und Lühr haben bis nach Ostern Zeit, im Tarifstreit des öffentlichen Dienstes einen Kompromiss zu erarbeiten. So lange bleibt die Drohkulisse eines langen Streiks im Mai bestehen. Der Leitartikel.
Wird Deutschland im Mai zum Streikland? Wird der Duft dieses Frühlings überlagert von stinkenden Müllsäcken auf den Straßen und stinkenden Dauerstaus im Berufsverkehr, weil U-Bahnen und Busse nicht fahren? Gut möglich. Obendrauf könnte dann noch der nächste Bahnstreik folgen.
Direkt nach dem Kampftag der Arbeiterklasse am 1. Mai könnte es zu unbefristeten Streiks bei der Müllabfuhr, den Verkehrsunternehmen und in Krankenhäusern kommen. Das ist ein mögliches Szenario, nachdem die Tarifverhandlungen für die 2,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst scheiterten.
Der Fahrplan sieht so aus: Die Friedenspflicht während der jetzt laufenden Schlichtung gilt bis zum 18. April, dann könnten Urabstimmungen über einen Erzwingungsstreik folgen. Die Streikbereitschaft ist überall hoch. Man ist versucht zu sagen: inflationär hoch.
Die Teuerung hat vor allem die Sicherheit aufgefressen, dass ein einigermaßen gutes Leben auch mit einem bescheidenen Einkommen möglich ist. Einkaufen und Volltanken, Ferien und Renovierungen, Klassenfahrt und neue Klamotten – bei immer mehr Menschen wird aus dem „und“ immer öfter ein „oder“.
Die Gewerkschaften haben in diesem Frühjahr einen Rückhalt wie lange nicht mehr. 70 000 Neueintritte gab es allein bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Wenn deren Chef Frank Werneke sagt, es sei „richtig Druck auf dem Kessel“, dann ist das nicht nur Streikrhetorik, sondern eine zutreffende Beschreibung der Situation.
Öffentlicher Dienst, das klingt für viele nach: Bürodrehstuhl, überschaubarer Arbeitsbelastung und auskömmlichem Gehaltsscheck. Es ist aber genauso: Arbeiten bei Wind und Wetter, Pöblern und Angriffen ausgesetzt, mit ständig wechselnden Schichtplänen, die mühsam eine Unterbesetzung kaschieren, etwa bei den Nahverkehrsbetrieben, bei der Polizei, im Rettungsdienst, in den Kliniken.
„Arbeiten am Limit“, nennen das die Gewerkschaftsbosse, und auch damit haben sie recht. Die galoppierende Inflation und der auf zwölf Euro pro Stunde erhöhte Mindestlohn macht diese Streikrunde auch für die Arbeitnehmervertreter schwieriger als sonst: Sie müssen Verbesserungen besonders für die unteren Gehaltsgruppen durchsetzen. Das bringt das Gefüge durcheinander und erschwert das Feilschen um einen Abschluss.
Bei den jetzt gescheiterten Verhandlungen in Potsdam war das gut zu sehen: Die öffentlichen Arbeitgeber boten eine steuerfreie Einmalzahlung von 3000 Euro und 300 Euro mehr im Monat an, die Gewerkschaften bestanden auf einer dauerhaften Lohnerhöhung von 500 Euro monatlich – um hinterher als Wohltäter für die unteren Lohngruppen dastehen zu können.
Es ist 31 Jahre her, dass es in Deutschland zu einem zehntägigen Streik im öffentlichen Dienst kam. Noch ist das Verständnis in der Bevölkerung groß – doch es kann schnell kippen. Denn das Beharren auf dem hohen Mindestbeitrag, und damit auf einen besseren Abschluss als bei der hochprofitablen Deutschen Post, lässt das Verständnis für Werneke und seine Leute jetzt schon absinken. Und die Kommunen drohen bereits damit, dass die höheren Gehaltskosten am Ende auf alle Bürgerinnen und Bürger umgelegt werden, in Müllgebühren, Eintrittskarten für Bäder und Museen, Steuerhebesätzen.
In Potsdam haben sich die kommunalen Verhandlerinnen und Verhandler auch deswegen wenig bewegt, um auf den Bund Druck aufzubauen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser als Verhandlungsführerin für den Bund muss sich da nicht wundern – schließlich blockiert sie bisher weitere Bundeszuschüsse für die Unterbringung Geflüchteter.
Bis nach Ostern haben die erfahrenen Schlichter Georg Milbradt und Henning Lühr jetzt Zeit, den Knoten zu durchschlagen. Die Drohkulisse eines wochenlangen Streiks im Mai bleibt so lange bestehen.