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Der düstere Frühling

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Von: Andreas Niesmann

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Deutschland ist im Frühjahr 2022 in einer bitterbösen Realität aufgewacht. Und niemand weiß, wie schlimm es noch kommt.
Deutschland ist im Frühjahr 2022 in einer bitterbösen Realität aufgewacht. Und niemand weiß, wie schlimm es noch kommt. © Bernd Weißbrod/dpa

Deutschland, seine Unternehmen und seine Menschen müssen sich auf härtere Zeiten einrichten. Der Leitartikel.

Eigentlich sollte in diesem Frühling alles wieder in bester Ordnung sein – zumindest hatten das die Optimisten versprochen. Die Pandemie vorbei, die Wirtschaft auf Erholungskurs, die Inflation eingedämmt, das Land unterwegs in eine klimaneutrale Zukunft.

Der März geht nun zu Ende, und bislang hat sich nicht eine einzige dieser Hoffnungen bewahrheitet – im Gegenteil. Das Corona-Virus wütet stärker als je zuvor, die wirtschaftliche Erholung ist fürs Erste abgesagt, die Inflationsrate klettert auf neue Höchstwerte, und statt den Ausbau der Ökostromerzeugung anzukurbeln, muss die Bundesregierung Notfallpläne für die Versorgung mit fossilem Erdgas beschließen.

Deutschland ist im Frühjahr 2022 in einer bitterbösen Realität aufgewacht. Und niemand weiß, wie schlimm es noch kommt. Die Wirtschaftsweisen haben ihre Wachstumsprognose deutlich nach unten korrigiert. Statt 4,6 Prozent erwarten sie nun nur noch 1,8 Prozent Wachstum in diesem Jahr. Und das ist schon das Positiv-Szenario.

Eine weitere Eskalation des Kriegs in der Ukraine, eine neue Corona-Welle im Herbst, vor allem aber ein Stopp von Gaslieferungen aus Russland könnten Deutschland in eine Rezession zwingen. Die Risiken sind nicht kleiner geworden, sondern größer.

Noch am Mittwochmorgen sah es so aus, als sei der Lieferstopp nur noch eine Frage von Tagen. Zwei Zügen rasten aufeinander zu: In dem einen saß Russlands Präsident Wladimir Putin, der Energie nur noch gegen Rubel liefern wollte. In dem anderen saßen die Staaten des Westens, die auf Einhaltung der in Dollar und Euro abgeschlossenen Verträge pochten. Ein Kompromiss ist in der Sache eigentlich nicht möglich, es muss schon einer einlenken, damit es nicht zum Zusammenstoß kommt.

Fürs Erste war es Wladimir Putin, der abgebremst hat – zumindest ein wenig. Die Umstellung der Zahlung soll noch nicht an diesem Donnerstag in Kraft treten, teilte der Kreml überraschend mit, erst Mal wolle sich Putin mit seinen Energiemanagern und Zentralbankern beraten.

Es ist eine kurze Verschnaufpause in dem Nervenkrieg, mehr nicht. Gut möglich, dass der Potentat schon bald wieder an der Eskalationsschraube dreht. Putin hat mehr als einmal bewiesen, dass man ihm nicht trauen sollte.

Es ist deshalb richtig, dass die Bundesregierung Vorkehrungen für den Notfall trifft. Die wirtschaftlichen Folgen eines Gas-Lieferstopps wären schon so schwer genug, ausgeklügelte Notfallpläne könnten helfen, sie zumindest ein bisschen abzumildern.

Niemand, der seriös ist, zweifelt noch daran, dass Deutschland und Europa ihre Energieabhängigkeit von Russland so schnell wie möglich beenden müssen. Das Ziel von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, die Importe von Kohle, Öl, und Gas mittelfristig auf null zu drücken, ist alternativlos, solange Wladimir Putin im Kreml sitzt.

Gleichzeitig wäre es geradezu fahrlässig, die deutsche Volkswirtschaft mit einem Embargo willentlich in eine schwere Krise zu stürzen. Der Schaden auf deutscher Seite wäre weit größer als der auf russischer. Und niemand sollte glauben, dass Putin dann vom einen auf den anderen Tag den Krieg beendet.

Deutschland, seine Unternehmen und seine Menschen müssen sich auf härtere Zeiten einrichten. Die Kaufkraft wird sinken, und sollte gleichzeitig noch eine Wirtschaftskrise hinzukommen, droht eine Rückkehr der Stagflation, die den westlichen Volkswirtschaften nach den Ölpreisschocks der 1970er Jahren Wohlstandsverluste und Massenarbeitslosigkeit beschert hat.

Es muss nicht so weit kommen, aber die Gefahr ist real. Der Frühling 2022 ist ein düsterer.

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