Den Bergbau im Blick

So erhält Europa möglichst fair Rohstoffe für die ökologische Transformation. Ein Gastbeitrag von Barbara Unmüßig.
Indium, Kobalt, Lithium, Tantal, leichte Seltene Erden – ohne sie leuchten keine Flachbildschirme, klingeln keine Handys, laufen Batterien nicht, dreht sich kein Windrad, produziert kein Solarpanel Strom. Diese Rohstoffe stehen auf der Liste der 30 von der EU als kritisch eingestuften Rohstoffe. Kritisch, weil sie sehr große Bedeutung für die Industrieproduktion haben und ihre Versorgung als riskant eingestuft wird. Beides – die ökonomische Bedeutung und das Versorgungsrisiko – werden mit der Digitalisierung und den notwendigen Energie- und Verkehrswenden weiter wachsen. Die Int. Energiebehörde rechnet damit, dass sich der Verbrauch metallischer Rohstoffe für die Grüne Ökonomie mindestens vervierfachen wird.
Die EU verfügt über nicht allzu große Vorkommen metallischer Rohstoffe und ist Nettoimporteur. Die deutsche Wirtschaft ist besonders abhängig: 99 Prozent der bergbaulich gewonnenen Metalle werden eingeführt. Der Blick auf die EU-Liste kritischer Rohstoffe verrät zudem, dass die EU in dramatischer Weise von China abhängig ist. Von den über 30 der von der EU gelisteten Rohstoffe kommen 44 Prozent aus China; bei den sog. Seltenen Erden sind es gar 98 Prozent. Eine Zahl, die seit über 15 Jahren konstant ist.
China hat zudem in den letzten Jahrzehnten die Weiterverarbeitung kritischer Rohstoffe forciert, so dass es „fast die Hälfte der globalen Raffinadeproduktion“ kontrolliert, so eine Analyse der Stiftung Wissenschaft und Politik. Heute kontrollieren chinesische Bergbauunternehmen alleine im Lithiumsektor weltweit mehr als 30 Prozent der Produktion und Verarbeitung. Zudem ist die Gewinnung und Verarbeitung von Rohstoffen in vielen Fällen mit massiven Umweltzerstörungen und Menschenrechtsverletzungen verbunden. Die Politik sucht nach Antworten, wie Versorgungssicherheit und soziale wie ökologische Standards verknüpft werden können. Stimmt die Balance?
Raus aus der Abhängigkeit und potenziellen Erpressbarkeit einzelner Lieferländer wie China ist in jedem Fall zum Topthema von Wirtschaft und Politik avanciert. Wie verwundbar Lieferketten sein können, haben die Covid-19-Krise und die ökonomischen Folgen des Angriffskriegs Russlands in der Ukraine bewiesen. Während sich China eine einmalige globale Marktposition bei der Sicherung kritischer Rohstoffe und ihrer Verarbeitung gesichert hat, reagieren EU und Bundesregierung mit Verzögerung, aber doch mit weitreichenden politischen Initiativen, um sich den Zugang zu kritischen und strategischen Rohstoffen zu sichern. Die EU-Kommission schlägt nun ein Gesetz zu kritischen Rohstoffen vor – den Critical Raw Materials Act. Die Bundesregierung hat im Januar ihre Rohstoffstrategie aktualisiert und erweitert.
Die Versorgungssicherheit ist ihr dominantes Ziel. Bausteine sind die Diversifizierung der Bezugsquellen und der Aufbau von Erschließungs- und vor allem Verarbeitungskapazitäten in der EU. Ein drittes Element ist mehr Kooperation mit wichtigen Rohstoffländern. EU und Bundesregierung verstärken ihre Rohstoffdiplomatie und suchen Partnerschaften in Chile, Südafrika, Australien oder Kanada – wichtige Lieferländer für kritische Metalle wie etwa Lithium und zudem Demokratien.
Ein neuerer Wesenszug gerade auch der deutschen Rohstoffstrategie ist, mehr Wertschöpfung für die wirtschaftliche Entwicklung in den Lieferländern zu lassen und die vielfachen negativen umweltpolitischen und sozialen Folgen gerade auch im Bergbausektor abzumildern. Diese Abkehr vom reinen Extraktivismus soll als Signal der Kooperation ankommen und für diese Länder die Attraktivität der Partnerschaft im Wettbewerb mit China erhöhen.
Viel weniger ambitioniert sind die wesentlichen Ziele der Wiederverwertung und Einsparung. Bis heute sind die Recyclingquoten metallischer Rohstoffe sehr niedrig und ihre Nutzungsdauer viel zu kurz. In vielen Fällen werden strategisch wichtige und gleichzeitig knappe Metalle im Schnitt nur ein Jahrzehnt genutzt. Kobalt und Indium etwa sind nur zwölf Jahre im Wirtschaftskreislauf. Die wachsende Nachfrage muss also durch neue Bergbauaktivitäten zulasten von Mensch und Natur bedient werden. Die Pläne der EU, bis 2030 15 Prozent des Bedarfs durch Wiederverwertung zu decken, sind nicht ambitioniert genug. Im Wettlauf um Rohstoffe darf Versorgungssicherheit nicht oberste Priorität genießen, sondern muss mit verbindlichen sozialen und ökologischen Standards, mit mehr Rohstoff- und Ressourceneffizienz und einer wirkungsvollen Kreislaufwirtschaft Hand in Hand gehen.
Auch in Zukunft wird die EU bei aller Diversifizierung und Wiederverwertung viele der nötigen Rohstoffe für die Grüne Ökonomie aus autoritären und korrupten Ländern beziehen. Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung werden den Bergbau leider weiter begleiten. Deshalb ist es so wichtig, hier mit konkreten Maßnahmen politisch zu handeln. Das EU-Lieferkettengesetz, das verbindliche Sorgfaltspflichten für Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette verlangt, könnte gerade für den Rohstoffsektor ein wichtiger Hebel für mehr Umwelt- und Menschenrechte sowie Transparenz in den Lieferketten werden. Das EU-Parlament wird sich hoffentlich in den nächsten Wochen auf ein EU-Lieferkettengesetz verständigen, das Unternehmen Sorgfaltspflichten abverlangt. Verbindlich und nachprüfbar!
Barbara Unmüßig war von 2002 bis 2022 im Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung und engagiert sich im Rahmen des Projekts „Global Assembly“ anlässlich von 175 Jahren Paulskirche.