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Das Denkkorsett ablegen

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Von: Karin Dalka

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„Die drei Sterbehilfevereine in Deutschland haben im vergangenen Jahr 350 Menschen beim Sterben begleitet oder Suizidhilfe vermittelt.“
„Die drei Sterbehilfevereine in Deutschland haben im vergangenen Jahr 350 Menschen beim Sterben begleitet oder Suizidhilfe vermittelt.“ © Patrick Pleul/dpa

In Sachen Sterbehilfe sollte der Gesetzgeber der Versuchung widerstehen, das Rad zurückzudrehen.

Da ein Suizid nicht strafbar ist, kann auch die Beihilfe zum Suizid nicht strafbar sein. Zumal das Strafrecht als ultima ratio per se ungeeignet ist für sensible Fragen im Grenzbereich zwischen Leben und Tod. Mit dieser Position schalteten sich vor rund sieben Jahren mehr als 140 Strafrechtler:innen, darunter Prominente wie der damalige Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof, Thomas Fischer, und die frühere Generalbundesanwältin Monika Harms, in die Debatte um Sterbehilfe ein.

Damals zeichnete sich eine Verschärfung der Rechtslage ab – unvereinbar mit dem Grundgesetz, meinten die Jurist:innen. Aber die warnenden Worte hielten die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten von dem Vorhaben nicht ab. Fünf Jahre später erklärte das Bundesverfassungsgericht das Sterbehilfe-Verbot für nichtig und erteilte dem Gesetzgeber eine Lehrstunde in Sachen Grundrechte, Freiheit und Menschenwürde. Nun schickt sich der Bundestag an, neue Regeln aufzustellen. Der Streit darüber hat das Zeug zu einer Endlosschleife. Was kein Schaden sein muss bei einer existenziellen ethischen Frage, auf die es keine letzten Antworten gibt.

Das Déjà-vu wird aber zum Ärgernis, wenn seit dem Karlsruher Urteil keine Lernkurve erkennbar ist. Wie etwa bei der Abgeordneten-Gruppe um den SPD-Politiker Lars Castellucci und seinen CDU-Kollegen Ansgar Heveling, die eine Neuauflage des gekippten Paragrafen 217 plant. Sie will die Sterbehilfe wieder grundsätzlich unter Strafe stellen und grotesk hohe Hürden aufbauen für Menschen, die sie in Anspruch nehmen wollen. Offenbar in dem Glauben, Menschen vor sich selbst und ihren möglichen Helfer:innen schützen zu müssen.

Wann endlich legen diese Abgeordneten ihr Denkkorsett ab? Warum können sie sich das von Karlsruhe festgestellte Freiheitsrecht auf Suizidhilfe allenfalls als streng reglementierte Ausnahme von einer generellen Verbotsnorm vorstellen? Eigentlich ist es müßig, das zu fragen. Auch in einer freiheitlichen Gesellschaft halten sich nun einmal autoritäre Denkmuster, bleiben christliche Dogmen wirkmächtig. Aber es wird Zeit, sich die Wirklichkeit anzuschauen.

Die paternalistische Attitüde geht einher mit der alarmistischen Prognose, dass die Suizidassistenz „Dämme brechen lässt“. Nebenbei bemerkt: Das wurde auch bei Schwangerschaftsabbrüchen vorausgesagt, trat aber nie ein: 2021 lag die Zahl dieser Eingriffe auf dem niedrigsten Stand seit 1996, dem Beginn der offiziellen Erhebung.

Die drei Sterbehilfevereine in Deutschland haben im vergangenen Jahr 350 Menschen beim Sterben begleitet oder Suizidhilfe vermittelt. Häufig Gutverdienende aus einem akademischen Milieu, Menschen, die so selbstbestimmt sterben wollen wie sie gelebt haben. Eine kleine Gruppe im Vergleich zu den 9000 bis 10 000 Menschen, die sich Jahr für Jahr in Deutschland zumeist in einer akuten Krise einsam das Leben nehmen. Wo bleibt hier die Fürsorge der politisch Verantwortlichen? Warum kaprizieren sie sich so auf die professionelle Sterbehilfe, auf Organisationen, deren Ärzt:innen und Jurist:innen prüfen, ob eine Entscheidung zum Suizid freiverantwortlich, wohldurchdacht und in Kenntnis von Alternativen getroffen wurde? Hier werden Missstände bis hin zu kriminellen Machenschaften insinuiert, sie sind aber nicht durch polizeiliche Erkenntnisse bei den sogenannten Todesermittlungsverfahren belegt.

Natürlich sind sozialethische Bedenken legitim: Untergräbt eine liberale Sterbehilfepraxis den Wert des Lebens? Wie sehen langfristig die sozialen Folgen aus? Wie viel Druck entsteht auf Alte, Schwache und Kranke? Hier ist es jedoch zwingend, sich das „große Ganze“ kritisch anzuschauen. Einem durchökonomisierten System, das vor allem auf Gewinnmaximierung abzielt, ist die Entsolidarisierung immanent. Deshalb ist Deutschland so weit davon entfernt, sich die notwendigen niedrigschwelligen Angebote zur Suizidprävention zu leisten. Und eine menschenwürdige Pflege, eine flächendeckende Palliativversorgung sowie ausreichend Hospizplätze – was sich eine alternde Gesellschaft unbedingt leisten müsste. Ganz zu schweigen vom Kampf gegen Altersarmut.

Einer der schlimmsten Alpträume vieler Menschen ist das einsame Dahinsiechen in einem Heim mit gehetzten, schlecht bezahlten Pflegekräften. Dann lieber tot, sagen sie in Umfragen. Hier muss die Politik endlich ihre Hausaufgaben machen. Statt bei der Suizidassistenz das Rad zurückzudrehen und zu riskieren, dass Karlsruhe wieder eine Strafnorm kassiert, die das Grundrecht auf ein selbstbestimmtes Sterben ins Leere laufen lässt. Für die Lernkurve des Gesetzgebers könnte es lohnenswert sein, sich vor allem eines zu fragen: warum er nicht konsequent dafür sorgt, dass alle Menschen in Würde leben und sterben können.

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