Die Corona-Krise ist ein Charaktertest - Kommentar von FR-Chefredakteur

Eine Krise wie der Coronavirus ist ein Charaktertest – für den Einzelnen und für das Gemeinwesen. Wer soll entscheiden? Ein Kommentar von FR-Chefredakteur Thomas Kaspar
Wer entscheidet über mein Leben? Andere oder ich selbst? Diese existenzielle Frage stellt sich immer, wenn Informationen fehlen, wenn sich die Fakten laufend ändern, wenn die Gesamtlage unklar ist und vor allem, wenn die Folgen unabschätzbar. Die Sozialpsychologie kennt das Phänomen, dass sich auch erwachsene Menschen in die Kindrolle begeben und nach einem Elternteil suchen, das vorgibt, was zu tun ist. Plötzlich reden nicht mehr Erwachsene auf einer Ebene miteinander, sondern einige wenige können spielend die Oberhand über viele übernehmen.
Coronavirus: Willkommen in der Wirklichkeit
Eine Krise ist ein Charaktertest – für den Einzelnen und für das Gemeinwesen. Wer entscheidet? Wer soll entscheiden? Bei einer weltweiten Krise von der Größe einer Virus-Epidemie verschärfen sich diese Fragen ins Extrem. Corona ändert nichts an der prinzipiellen Ausgangslage der Moderne: Wir haben hart dafür gekämpft, dass nicht durch nichts legitimierte Monarchen und Machthaber über uns herrschen.
Wir bestimmen über uns selbst und übertragen repräsentativen Vertretern für kurze Zeit die Macht, für uns politische Entscheidungen zu treffen. In diesem Sinn ist so eine Extremsituation auch eine Chance: Wir nehmen neu wahr, wie hochvernetzt unsere Welt ist – und zugleich hochfragmentiert. Willkommen in der Wirklichkeit.
Coronavirus: In der Krise Demokratie nicht in Frage stellen
„Empfehlungen“ – dieses Wort bringt das Dilemma unserer Zeit auf den Punkt. Es ist großartig, dass Gesundheitsämter nicht die Macht haben, einfach so über unser Leben zu bestimmen. Experten geben Ratschläge, die demokratisch legitimierte Politiker umsetzen. Es ist gut und richtig, dabei im Auge zu behalten, wer die Lage wie gut „managt“. Es ist gefährlich und falsch, deswegen den föderalen Prozess des Aushandelns insgesamt infrage zu stellen.
Das Grundprinzip der Moderne ist, Hypothesen zu bilden, zu testen und das Verhalten anzupassen. Wir sammeln Fakten und entscheiden, was gerade richtig ist. Wir reflektieren unser begründetes Eigeninteresse und überlegen, was für das Gemeinwohl davon eingeschränkt werden darf. Dazu gehört auch, Entscheidungen anzupassen. Zuhören können, Vorurteile überprüfen, seine Meinung ändern zu können – das ist der Schlüssel. Wenn Corona hierbei helfen kann, das zu erreichen, dann gehen wir gestärkt aus der Krise.
Coronavirus: Erwachsene nüchterne Analyse hilft
Die Situation ist anstrengend, und vieles geht manchmal zu langsam. Es bewahrt uns aber auch davor, unsere Werte und Rechte aufzugeben, weil wir zwecks Krisenprävention alles auf eine autoritäre Karte setzen. Wir benötigen Vertrauen in die Vielfalt bei der Lösungsfindung. Und Gelassenheit, dass in einem freiheitlichen System auch Fehler gemacht werden dürfen.
Die Lage ist ernst: Das Leben von Tausenden Menschen ist in Gefahr. Wir geraten in eine fundamentale Wirtschaftskrise. Aber Deutschland wird nicht von der Landkarte verschwinden. Gerade jetzt ist es wichtig, kühlen Kopf zu bewahren. Nun müssen wir neue Lösungen entwickeln und vielleicht sogar eine neue Idee von internationaler Zusammenarbeit. Das auszuhalten, ist das Gegenteil von Panik und Hysterie. Es hindert uns nicht daran, jederzeit Zwischenbilanz zu ziehen und Entscheidungen zu hinterfragen. Das nennt man Demokratie.
Coronakrise: Krisenmanagement wird auch in Zukunft wichtig
Wir werden diese gestärkten Fähigkeiten auch nach der Corona-Krise benötigen. Das Klima verändert sich dramatisch und es verändert die Welt. Krisen begleiten unser Leben. Und gerade deshalb müssen wir den Kern von Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie bewahren.
Autorität und Freiheit sind keine Gegensätze. Dieser Satz von Hannah Arendt ist heute aktueller denn je. Es ist Zeit, dass wir erwachsen werden.
Von Thomas Kaspar
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