Contra zur Friedensbewegung
Wo nach Sündenböcken gesucht wird, sind pauschale Schuldzuschreibungen nicht weit: „die Politik“, „die Amis“, „die Banken“, „die Ausländer“. Am Ende wieder „die Juden“?
Von Paul Schäfer
Es ist ja richtig: Angesichts der Gewalt in der Ukraine und der Spannungen zwischen der Nato-/EU-Staatenwelt und Russland wäre eine breit aufgestellte, wirksame „neue Friedensbewegung“ bitter notwendig. Über die real existierende Bewegung hat sich in dieser Zeitung einer ihrer Sprecher, Reiner Braun, dahingehend geäußert, dass man sich zu lange in einer gesellschaftlichen Nische eingerichtet habe und sich wieder zur Gesellschaft hin öffnen müsse. Auch richtig.
Aber führt die von Teilen der alten Friedensbewegung nun versuchte Verbindung zu neu sichtbar gewordenen Akteuren (Montagsdemos, Mahnwachen) schon zum gewünschten Aufbruch? Ein schillerndes Völkchen kommt da zusammen, um gegen Nato-Kriege zu protestieren. An der Spitze dieser überschaubaren, schwer einzuordnenden Bewegung stehen auch Leute mit antisemitischen, irrational-esoterischen, verschwörungstheoretischen Tendenzen.
Nun mag dies noch kein ausreichender Grund sein, diese „Bewegung“ einfach rechts liegen zu lassen. Aber erstens müssen die Voraussetzungen für gemeinsame Aktionen geklärt werden und zweitens sollte klar sein, dass eine solche „Koalition“ nicht die erforderliche Öffnung zur Mitte der Gesellschaft ist.
Erinnert sei daran, dass die Friedensbewegung der 80er Jahre auch eine Aufklärungsbewegung war. Sie deckte die Rüstungspotenziale in Ost und West auf, nahm die Abschreckungsphilosophie auseinander und entwarf konkrete friedens- und abrüstungspolitische Konzepte (schon daher geht der um Rechtfertigung bemühte Hinweis, auch damals habe es rechte, esoterische Kreise in der Bewegung gegeben, völlig ins Leere). Daran wäre heute wieder anzuknüpfen. Und daran wird zugleich unser gegenwärtiges Problem deutlich: Das oben konstatierte „Sich-Einrichten“ in der Nische hat Spuren hinterlassen! Wer sich einigelt, neigt dazu, die Welt nach einfachen Mustern zu sortieren und sich dabei immer wieder selbst zu bestätigen. Und damit sind Schnittmengen zu einem Protestmilieu möglich, das noch anfälliger für schlichte Problemzuschreibungen und vermeintlich einfache Lösungen ist. Das kann verdammt gefährlich werden. Wo nach Sündenböcken für die Misere gesucht wird, sind pauschale Schuldzuschreibungen nicht weit: „die Politik“, „die Amis“, „die Banken“, „die Ausländer“. Am Ende wieder „die Juden“? Eine aufklärerische Friedensbewegung müsste sich scharf mit den ressentimentgeladenen Parolen und der zielgerichteten Stimmungsmache der Neuen Rechten auseinandersetzen.
Vor Gefahren der Gewalteskalation zu warnen, ist wichtig. Wenn aber bei den Aktionen des neuen Bündnisses behauptet wird, wir befänden uns in der Phase einer unmittelbaren Kriegsvorbereitung durch die Nato gegen Russland und ein großer (Atom-)Krieg drohe, dann wird irrationale Angstmache betrieben. Auf diesem Boden wächst Pegida.
Die „Geopolitik des Westens“ gibt es nicht. Die US-Eliten wollen sich machtpolitische Konkurrenten auf Dauer vom Hals halten. Dem dienen die Eingrenzung Russlands und die Destabilisierung seiner Peripherie. Das europäische Interesse ist ein anderes. Und das zeigt sich auch in der Widersprüchlichkeit der deutschen Regierungspolitik, die eine harte Anti-Moskau-Linie mit diplomatischen Anstrengungen zur Konfliktlösung verbinden will. Die Kritik an einer Politik, die die Schwäche Russlands in selbstgefällig-ignoranter Weise meint ausnutzen zu müssen, ist berechtigt (und insofern auch das Verständnis für Russland). Aber sind geopolitische Ambitionen Russlands, die mit militärischer Gewalt und unter Bruch des Völkerrechts (!) durchgesetzt werden, gutzuheißen? Für die Friedensbewegung ist kritische Distanz zu diesem autokratischen Regime, das eigene Machtinteressen verfolgt, unabdingbar – will man nicht zum Spielball des Machtgerangels werden.
Es ist daneben, die Welt in „starke Böse“ – der Westen, die US-Banken und so weiter – und „schwache Gute“ (Putins Russland) einzuteilen. Die alte Friedensbewegung hat sich präzise mit solchen Feindbildprojektionen, die bei der Rechten üblich sind, auseinandergesetzt. Die Neue Rechte vermeidet offene Nazi-Bekenntnisse (also Holocaust-Leugnung), aber: Andere würden mindestens so schlimm oder noch schlimmer als die Nazi-Deutschen agieren – wie heute die Juden gegenüber den Palästinensern. Oder „die Amerikaner“: Haben die nicht mit selbst inszenierten Terroranschlägen vom 11. September gezeigt, dass sie die Nazis noch an Skrupellosigkeit übertreffen? Solche Geschichtsklitterung kann nicht die Sache der Friedensbewegung sein.
Wir brauchen eine neue Friedensbewegung, die falsche Selbstgewissheiten vermeidet, mit Widersprüchen umgeht und wieder eine eigene, über die schroffe Ablehnung von Krieg und Militär hinausreichende Friedenspolitik formuliert.
Paul Schäfer, seit Beginn der 80er Jahre in der Friedensbewegung aktiv, war von 2005 bis 2013 verteidigungspolitischer Sprecher der Linkspartei im Deutschen Bundestag. Er ist Herausgeber des Buches „In einer aus den Fugen geratenden Welt. Linke Außenpolitik – Eröffnung einer überfälligen Debatte“, Hamburg 2014.