Bröckelnder Zusammenhalt

Viele Westdeutsche haben offenbar vergessen, welch ein Privileg es war, nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt in die Nato aufgenommen zu werden. Der Kommentar.
Am Dienstag fielen zwei Ereignisse auf bemerkenswerte Weise zusammen. Auf der einen Seite besuchte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) die Ukraine und demonstrierte Solidarität mit dem angegriffenen Land. Auf der anderen Seite sorgte eine Umfrage für Aufsehen. Demnach sind lediglich 45 Prozent der Deutschen noch der Meinung, dass man einem anderen Nato-Staat militärischen Beistand leisten sollte, wenn dieser angegriffen würde. In Ostdeutschland hielten das gar nur 30 Prozent der Befragten für richtig. Letzteres ist dramatisch.
Viele Westdeutsche haben offenbar vergessen, welch ein Privileg es war, nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt in die Nato aufgenommen zu werden. Sie hat ihnen Freiheit beschert. Bei relativ betrachtet noch mehr Ostdeutschen ist nach dem Fall der Mauer überhaupt keine Identifikation entstanden. Im Zweifel ist die Nähe zu Russland größer als jene zu Polen oder den baltischen Staaten – obwohl es ebenfalls einstige Ostblockstaaten sind. Der Zusammenhalt des Westens bröckelt nicht allein bei uns. Doch bei uns wie andernorts gilt: Ohne überzeugte Staatsbürgerinnen und -bürger wird er nicht zu retten sein.