Wem Billig-Öl schadet

Günstige Energie ist gut – aber sie muss aus der richtigen Quelle stammen, Öl ist die falsche. Der Druck schwindet, in eine umweltfreundlichere Zukunft zu investieren. Der Leitartikel.
Man darf sich freuen, natürlich. Wir Energieverbraucher atmen auf. An der Tankstelle, beim Heizölkauf, bei der Aussicht auf das Konjunktur- und Jobprogramm namens Billig-Erdöl. Noch vor wenigen Monaten hätte niemand so etwas erwartet. Heute traut man seinen Augen kaum. Der Spritpreis ist so niedrig wie seit Jahren nicht mehr. Diesel rutschte an einigen Tankstellen sogar unter einen Euro pro Liter. Mieter und Hausbesitzer sparen eine Stange Geld, wenn sie mit Öl heizen. Doch die Freude über die Entlastung im Portemonnaie und auf dem Bankkonto ist leider nicht ungetrübt. Die Schwemme des Rohstoffs, die den Preisrutsch ausgelöst hat, droht sich zu einer Billigöl-Krise auszuwachsen, die ganze Länder in Not bringt und dem Klimaschutz schadet.
Die Verfechter der Peak-Oil-Theorie haben sich verschätzt. Ihre Kalkulation, dass die weltweite Erdöl-Förderung am Limit sei und der Ölpreis künftig nur noch steigen werde, war falsch. Binnen eines Jahres hat er sich mehr als halbiert. Er sank bis herunter auf 45 Euro und damit fast auf den Niedrigstand vom Herbst 2008. Damals war die Weltwirtschaft von der Lehman-Finanzkrise gebeutelt, und die Notierungen für ein Barrel Rohöl fielen binnen weniger Monate vom bisherigen Allzeithoch von knapp 150 auf 34 Dollar. Doch diesmal steckt keine tiefe Wirtschaftskrise hinter dem Preisrutsch, sondern ein strukturelles Überangebot an Erdöl auf dem Markt. Jeden Tag werden derzeit weltweit bis zu zwei Millionen Barrel mehr gefördert als verbraucht.
Die Ölschwemme hat drei Ursachen. Erstens: das Fracking in den USA. Die Weltmacht, die den Irak-Krieg auch führte, um sich den Zugriff auf Ressourcen im Nahen Osten zu sichern, ist durch den Boom dieser Technologie zum größten Erdöl-Förderer geworden. Zweitens wächst der Ölverbrauch weltweit nur noch moderat; in den Industriestaaten sinkt er seit Jahren, nur in Asien steigt er noch. Drittens haben die Erdöl-Staaten ihr klassisches Reaktionsmuster außer Kraft gesetzt. Statt die Förderung wie früher bei Überangebot zu drosseln, lässt die Opec die Quellen weiter sprudeln. Selbst bei einem Preis von 20 Dollar werde man nicht auf die Förder-Bremse treten, verkündete jüngst der Ölminister von Saudi Arabien, Ali Al-Naimi.
Die Spekulationen, warum die Opec so handelt, sind vielfältig. Plausibel ist, dass die in der Opec tonangebenden Saudis die Fracking-Firmen in den USA, die hohe Förderkosten haben, aus dem Markt drängen wollen. Bleibt der Preis dauerhaft unter 60 Dollar, droht vielen dort die Pleite. Eine andere Vermutung: Die Saudis sind ein heimliches Bündnis mit den Amerikanern eingegangen, um Russland zu schaden, dessen Staatshaushalt stark vom Öl- und Gasexport anhängt. Spekuliert wird auch, die Saudis wollten den Erzfeind Iran samt Atomprogramm in die Knie zwingen. Wie dem auch sei, ins Kalkül der Opec-Länder passt in jedem Fall noch etwas anders: Die Ölschwemme senkt den politischen Druck in den Industriestaaten, im Verkehr, beim Heizen oder in Industrie energieeffizienter zu werden und auf Alternativen zum Erdöl umzusteigen.
Dieses Kalkül könnte aufgehen. Im Verkehrssektor ist das schon zu beobachten. Nimmt man die Detroit Motor Show, den ersten klassischen Branchentreff der weltweiten Autobranche im Jahr zum Maßstab, haben die Kunden schon auf den Billigsprit reagiert. Bullige Geländewagen, Pick-up-Trucks und Luxusschlitten verkaufen sich im Pkw-Leitmarkt USA nun noch besser als bisher schon. Inzwischen ist hier mehr als jeder zweite Neuwagen so ein Benzinfresser.
Elektroautos auf die Straßen zu bringen, wird noch schwieriger. Auch in Europa dürfte sich der Trend zu SUVs und PS-Aufrüstung verstärken. Und die Bundesregierung kann ihr Ziel, bis 2020 eine Million Elektroautos auf die Straßen zu bringen, vergessen. Der Verkehr hinkt beim Klimaschutz, verglichen mit anderen Sektoren, ohnehin hinterher. Das Billig-Öl wirkt wie Dope auf PS-Junkies. Die Pläne für Drei-Liter-Autos und grüne Antriebe drohen auf die lange Bank geschoben zu werden.
Für eine intelligente Energie- und Klimapolitik ist die Ölpreis-Achterbahn mehr als schädlich. Schon fordern Experten, mit einer staatlichen Abgabe gegenzuhalten, damit der CO2-Ausstoß nicht zusätzlich angeheizt wird. Der Direktor des UN-Entwicklungsprogramms UNDP, Kemal Davis, und der renommierte deutsche Umweltforscher Ernst Ulrich von Weizsäcker haben vorgeschlagen, sie flexibel anzulegen – sie soll steigen, wen der Ölpreis fällt, und sinken, wenn das Öl am Markt wieder teurer wird. Auch der frühere amerikanische Finanzminister Lawcrence Summer hat für eine zusätzliche Steuer auf Erdöl plädiert. Denn schon jetzt ist klar: Die Freude über das billige Tanken und Heizen wird über kurz oder lang wieder vergehen. Die Fracking-Reserven können „Peak Oil“ nur ein paar Jahre hinausschieben, und die anderen „Alternativen“, Öl aus Teersanden oder der Tiefsee, sind so dreckig, teuer oder gefährlich, dass sie eigentlich keine sind.